Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
seinen Arm in den Automaten und stocherte nach Willoughbys Anweisungen darin herum. »Jetzt ein bisschen nach links«, sagte Willoughby, »an dem Kondensator vorbei unter die Magnetspule und schau, ob du nicht einen Klappdeckel findest. Das müsste dann die Box mit dem Wechselgeld sein. Fühlst du sie?«
»Nein«, erwiderte der Junge und Willoughby fädelte noch ein Stück Arm ein.
»Kannst du sie jetzt fühlen?«, fragte Willoughby.
»Nein, aber – Autsch!«, sagte der Junge plötzlich. »Ich habe gerade einen schweren Schlag abgekriegt.«
»Das ist bestimmt die Erdungsschelle«, sagte Willoughby. »Berühr die nicht noch mal. Ich meine, berühr die wirklich nicht noch mal. Versuch drum herum zu gehen.« Er schob noch ein Stück Arm ein. »Fühlst du die Box jetzt?«
»Ich fühle überhaupt nichts mehr, mein Arm ist eingeschlafen«, sagte der Junge nach einer Weile und fügte dann hinzu: »Außerdem hänge ich fest. Ich glaube, mein Ärmel hat sich in irgendwas verfangen.« Er verzog das Gesicht und manövrierte seinen Arm hin und her, bekam ihn aber nicht frei. »Jetzt hänge ich wirklich fest«, sagte er schließlich.
Jemand holte den Kinobetreiber. Ein, zwei Minuten später eilte der in Begleitung eines seiner rüpeligen Helfer herbei.
»Was zum Teufel!«, knurrte er und zwängte sich durch die Kindermassen. »Platz da, Platz da. Verdammt und zugenäht. Was zum Teufel. Was zum Teufel ist hier los? Verdammte Bande. Platz da, Junge! Verdammt und zugenäht zum Teufel. Verdammich. Verdammich. Was zum Teufel.« Als er sich einen Weg durch die Zuschauer gebahnt hatte, sah er voller Erstaunen und Empörung, wie ein Junge obszönerweise die Innereien eines seiner Verkaufsautomaten schändete. »Teufel, was machst du da, Freundchen? Komm mit deinem Arm da raus!«
»Kann ich nicht. Ich hänge fest.«
Der Besitzer riss an dem Arm des Jungen. Der jaulte vor Schmerz auf.
»Wer hat dich dazu angestiftet?«
»Die alle.«
»Ist dir klar, dass es strafbar ist, innen in einem Food-O-Mat-Automaten herumzufummeln?«, sagte der Kinomensch, während er noch mehr an dem Arm zerrte und der Junge noch mehr jaulte. »Das gibt Ärger, junger Mann. Ich werde dich höchstpersönlich zur Polizeiwache eskortieren. Ich will gar nicht daran denken, wie lange du in der Besserungsanstalt schmoren wirst, aber bei deiner nächsten Matinee, da rasierst du dich schon, Freundchen.«
Der Arm des Jungen kam nicht frei, war dafür aber jetzt mehrere Zentimeter länger als vorher. Klirrend zückte sein Ankläger einen riesigen Schlüsselring – bei dessen Anblick ein Mann wie er bestimmt sofort alle anderen Pläne hatte fallen lassen und ins Kinogeschäft eingestiegen war –, schloss den Automaten auf und riss die Tür auf, wobei er den protestierenden Jungen mitzerrte. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurde das Innenleben eines Verkaufsautomaten dem Blick von Kindern preisgegeben. Willoughby zückte Bleistift und Notizbuch und begann mit der Rohzeichnung. Der Anblick von 200 übereinandergestapelten Schokoriegeln, jeder in seinem kleinen schrägen Steckloch, war überwältigend.
Während der Besitzer sich vorbeugte und versuchte, Arm und Hemd des Jungen von der Tür zu befreien, langten 200 Hände an ihm vorbei und befreiten den Automaten geschickt von seiner Ladung.
»He da!«, sagte der Besitzer, als er begriff, was passierte, und entriss wutschäumend einem vorbeigehenden kleinen Jungen eine große Schachtel Milk Duds.
»Hey, die gehört mir!«, protestierte der Junge, holte sich die Schachtel zurück und hielt sie mit beiden Händen fest. »Die gehört mir! Die habe ich bezahlt!«, schrie er, während seine Füße 20 Zentimeter über dem Boden ruderten. Als die beiden weiter um die Schachtel rangen, riss sie, und der Inhalt flog heraus. Da schlug der Junge die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. 200 gellende Stimmen beschimpften den Besitzer und wiesen ihn darauf hin, dass in dem Food-O-Mat-Automaten gar keine Milk Duds waren. Während dieser momentanen Verwirrung schlüpfte der Junge mit den langen Armen aus seinem Hemd und floh oben ohne zurück in den Kinosaal – ein Akt erstaunlicher Eigeninitiative, bei dem alle anderen den Mund vor Bewunderung aufsperrten.
Der Besitzer wandte sich an seinen rüpeligen Helfer. »Hol den Jungen, und bring ihn in mein Büro.«
Der Helfer zögerte. »Ich weiß doch gar nicht, wie er aussieht«, sagte er.
»Wie bitte?«
»Ich habe sein Gesicht nicht gesehen.«
»Er hat
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