Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
dann gab es keinen. Basta.
Ein Jahr darauf trug ich jedes Stück Papier zusammen, das ich finden und mit dem ich mich ausweisen konnte – Schulzeugnisse, Geburtsurkunde, Büchereiausweis, eine ausgebleichte Mitgliedskarte des Sky-King-Fan-Clubs, alles, was auch nur vage mein Alter anzeigte –, und ging mit Buddy Doberman direkt zum Zelt. Es war im Stil von Alberto Vargas mit lebensgroßen Bildern kurviger Pin-up-Girls neu bemalt und sah sehr verheißungsvoll aus.
»Zwei Mal erste Reihe, bitte«, sagte ich.
»Zieht Leine!«, sagte der angegraute Mann, der die Eintrittskarten verkaufte. »Für Kinder Eintritt verboten.«
»Aber ich bin 13«, sagte ich und begann aus meinen Ordnern die offiziellen Bestätigungen hervorzuziehen.
»Nicht alt genug«, sagte der Mann. »Ihr müsst 14 sein.« Er schlug an das baumelnde Schild. Die ›13‹ darauf war mit einem rechteckigen Stück Pappe bedeckt, auf dem ›14‹ stand.
»Seit wann?«
»Seit diesem Jahr.«
»Aber warum?«
»Neue Regelungen.«
»Das ist ungerecht.«
»Junge, wenn du was zu meckern hast, wende dich an deinen Kongressabgeordneten. Ich kassiere hier nur.«
»Ja, aber …«
»Du hältst die hinter dir Stehenden auf.«
»Ja, aber …«
»Zieh Leine!«
Buddy Doberman und ich schlichen unter den höhnischen Blicken einer Schlange junger Männer von dannen. »Kommt wieder, wenn ihr groß seid«, witzelte einer, der bestimmt aus Idiotville kam und sich prompt unter einer vernichtenden Dosis ThunderGaze auflöste.
In das Stripperinnenzelt zu kommen sollte ab sofort die Hauptsorge meiner Pubertätsjahre werden.
Da es uns einen Großteil des Jahres an Unterhaltung mangelte, wie sie uns in Riverview oder auf der State Fair geboten wurde, gingen wir ins Stadtzentrum und vertrieben uns dort die Zeit. Uns die Zeit vertreiben konnten wir extrem gut. Die Samstagmorgen verbrachten wir in erster Linie damit, uns erhabene Positionen zu suchen – auf Dächern von Bürogebäuden, den Fenstersimsen langer Flure in den großen Hotels – und weiche oder nasse Gegenstände auf die Einkaufenden darunter zu werfen. Wir streiften auch viele glückliche Stunden lang hinter den Kulissen großer Kaufhäuser und Bürogebäude umher, schauten in Besenkammern und Büromaterialschränke, experimentierten mit dampfenden Ventilen in Heizungskellern und bohrten Kisten in Lagerräumen an.
Der Trick dabei war, sich nie heimlichtuerisch zu gebärden, sondern immer so zu tun, als begreife man gar nicht, dass man am falschen Ort sei. Begegnete man einem Erwachsenen, vermied man Festnahme oder Arrest, wenn man sofort eine dämliche Frage stellte: »Entschuldigen Sie, Mister, ist das der Weg zu Dr. Mackenzies Büro?« Oder »Können Sie mir bitte sagen, wo die Männertoilette ist?« Diese Vorgehensweise war todsicher. Frohgemut in sich hineinlachend, geleitete uns dann ein verständnisvoller Hausmeister zurück ans Tageslicht und schickte uns mit einem Klaps auf den Kopf fort, nicht ahnend, dass wir unter der Jacke 13 Rollen Isolierband, zwei kleine Feuerlöscher, eine Rechenmaschine, einen halb pornografischen Kalender von seiner Bürowand und eine wahrhaft tödliche Heftmaschine versteckt hatten.
Samstags konnte man normalerweise auch in Matineen gehen, bei denen meist zwei von den Filmen gezeigt wurden, in die mich meine Mutter nicht mitnahm – The Man from Planet X , Godzilla kehrt zurück , Zombies from the Stratosphere , oder Streifen, für die mit »Halb Mann, halb Tier, aber GANZ MONSTER« geworben wurde. Und als Dreingabe gab es auch noch etliche Zeichentrickfilme und ein paar Kurzfilme der Three Stooges, damit wir in Stimmung kamen. In den Hauptfilmen kamen gewöhnlich ein paar reizbare, sich ruckartig bewegende Dinosaurier vor, ein Schwarm mutierter Rieseninsekten und mehrere tausend ernsthaft verstörte Japaner, die direkt vor einer gewaltigen Flutwelle oder einem stampfenden Fuß durch die Straßen einer Großstadt rannten.
Die Filme waren fast immer billig gemacht, schlecht gespielt und weitgehend unverständlich, aber das machte gar nichts, denn bei den Samstagsmatineen ging es nicht darum, einen Film anzuschauen. Es ging darum, wie verrückt herumzupesen, Krach zu machen, sich mit Bonbonwerfen heiße Gefechte zu liefern und dafür zu sorgen, dass jede horizontale Fläche mindestens zehn Zentimeter hoch mit Popcorn und leeren Behältern bedeckt war. Im Wesentlichen waren die Matineen eine Einladung an 4000 Kinder, vier Stunden lang in einem großen verdunkelten Raum
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