Mein Auge ruht auf dir - Thriller
erfahren, dass ihre Mutter mit einer Schusswaffe umgehen konnte.
Lloyds nächste Frage riss sie aus ihren Überlegungen. »Fanden sich an der Kleidung von Mrs. Lyons Blutspuren oder Hirngewebe?«
»Ja. Der Täter war mindestens drei Meter vom Opfer entfernt. Aber Mutter wie Tochter haben den Professor umarmt und waren daher mit Blut beschmiert.«
Mariah und Lloyd Scott sahen sich an. Lloyd weiß, dass Mom früher mit Dad oft auf dem Schießstand war, dachte sie. Er weiß, dass sie es herausfinden und zur Sprache bringen werden.
»Detective Benet«, begann Lloyd. »Ich möchte klarstellen, dass ich als Mrs. Kathleen Lyons’ Rechtsbeistand …«
Weiter kam er nicht, denn an der Haustür wurde Sturm geklingelt. Mariah eilte hinaus, aber Delia, die bei der Ankunft der Polizei das Wohnzimmer verlassen hatte, war schon an der Tür und öffnete sie. Draußen war Lisa Scott, die sofort ins Haus gestürmt kam. »Wir sind ausgeraubt worden!«, kreischte sie. »Mein ganzer Schmuck ist weg!«
Lloyd Scott und die Detectives im Wohnzimmer hörten natürlich, was sie sagte. Lloyd ließ Kathleens Hand los und sprang auf. Die Detectives sahen sich nur erstaunt an, folgten ihm und ließen Kathleen allein.
Sofort war Delia bei ihr. »Also, Kathleen, solange alle mit anderen Dingen beschäftigt sind, könnten wir uns doch ankleiden«, sagte sie sanft und nahm sie am Arm, um ihr aufzuhelfen.
In diesem Moment blitzte ein klarer Erinnerungsfetzen in Kathleens angegriffenem Gedächtnis auf. »War Erde an der Waffe?«, fragte sie. »Das Blumenbeet vorn am Gehweg ist doch recht matschig gewesen.«
»Ach, meine Liebe, denken Sie doch nicht an solche Dinge«, besänftigte Delia sie. »Sonst regen Sie sich nur wieder auf. Ich finde, Sie sollten heute Ihre hübsche weiße Bluse anziehen. Ist das nicht eine gute Idee?«
13
L illian Stewart wohnte in einem Apartmentgebäude gegenüber dem Lincoln Center an der West Side von Manhattan. Dort lebte sie seit ihrer gütlichen Scheidung von Arthur Ambruster, den sie noch als Studentin an der Georgetown University in Washington kennengelernt hatte. Sie hatten beschlossen, Kinder hintanzustellen, bis sie ihren Doktortitel hatten – er in Soziologie, sie in Anglistik. Dann hatten sie sich jeweils erfolgreich um einen Lehrauftrag an der Columbia University in New York bemüht.
Die Kinder, die dann hätten kommen sollen, wollten sich aber nicht einstellen, und als sie beide fünfunddreißig waren, kamen sie zu dem Schluss, dass sie grundverschiedene Interessen und Zielsetzungen im Leben ver folgten. Mittlerweile, fünfzehn Jahre später, war Arthur Vater von drei Söhnen und in der New Yorker Politik aktiv. Lillian hatte sich beruflich der Archäologie zugewandt und nahm jeden Sommer an Ausgrabungen teil. Fünf Jahre zuvor, im Alter von fünfundvierzig, war sie bei einer Exkursion dabei gewesen, die unter der Leitung von Professor Jonathan Lyons gestanden hatte, was ihrer beider Leben für immer verändern sollte.
Ich bin der Grund, warum Kathleen Jonathan erschossen hat – dieser Gedanke verfolgte sie seit seinem Tod bis in ihre Träume. Dabei wäre es doch gar nicht nötig gewesen, dachte sie. Jonathan wollte doch Schluss machen. Erst vergangene Woche hat er mir mitgeteilt, dass er so nicht mehr weiterleben kann, dass sich Kathleens Zustand zunehmend verschlechtert und seine Beziehung zu Mariah unerträglich angespannt ist.
Die Erinnerung an diese Begegnung war wie ein Film, der am Samstagmorgen unablässig in ihrem Kopf ablief. Immer noch sah sie seinen schmerzerfüll ten Blick vor sich und hörte das Zittern in seiner Stimme. »Lily, du weißt, wie sehr ich dich liebe, und ich habe wirklich gedacht, ich könnte Kathleen in ein Pflegeheim geben und mich von ihr scheiden lassen, wenn es mal so weit ist, dass sie nichts mehr um sich mitbekommt. Aber jetzt weiß ich, dass ich es nicht kann. Und genauso wenig kann ich dir das alles noch länger zumuten. Du bist erst fünfzig, du solltest jemanden in deinem Alter kennenlernen. Wenn Kathleen noch zehn Jahre lebt, bin ich achtzig. Was wäre das für ein Leben, das du dann mit mir hast?«
Und dann hatte er noch hinzugefügt: »Es gibt Menschen, die haben eine Vorahnung von ihrem Tod. Mein Vater war so ein Mensch. Und Abraham Lincoln soll eine Woche bevor er erschossen wurde, geträumt haben, dass er aufgebahrt im Weißen Haus liegt. Ich weiß, es klingt verrückt, aber irgendwie ist mir, als würde ich bald sterben.«
Ich habe ihn zu einem
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