Mein Auge ruht auf dir - Thriller
innerlich bereits rüstete, »um in die Schlacht zu ziehen«, wie sie diese Gemütsverfassung immer nannte. Mit gefurchter Stirn, die Augen hinter den Brillengläsern zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, sagte er: »Mariah, das ist mein Gebiet. Ich will mich ja nicht ungefragt einmischen, aber egal, ob Ihre Mutter versteht, was hier vor sich geht, oder nicht, ohne Rechtsbeistand sollte sie der Polizei auf keinen Fall Fragen beantworten. Lassen Sie mich zu ihr, dann können wir sie schützen.«
Lisa tätschelte Mariah beide Wangen. »Wir sehen uns später«, versprach sie und wandte sich zum Gehen.
Da es selbst für August ein heißer Tag war, stellte Lisa im Haus zunächst die Temperatur der Klimaanlage niedriger, ging in die Küche und warf dann einen Blick ins Wohnzimmer. Alles war tadellos in Ordnung, und sie verspürte dieses warme Gefühl, das sich nach einer Reise unweigerlich einstellte. Egal wie toll der Urlaub gewesen ist und wie sehr wir die Reise genossen haben, es ist doch immer wieder schön, nach Hause zu kommen, dachte sie.
Sie nahm sich vor, nichts zwischendurch zu knabbern. Sie hatte den Frühstückssnack im Flugzeug ausfallen lassen, ging aber davon aus, dass sie, wenn Lloyd zurückkam, früh zu Mittag essen würden. Er dürfte ebenfalls Hunger haben. Ohne nachzusehen, wusste sie, dass der Kühlschrank von ihrer zuverlässigen, mittlerweile seit fünfundzwanzig Jahren bei ihnen angestellten Haushälterin aufgefüllt worden war. Erneut musste sie der Versuchung widerstehen, einen Cracker mit einem Stück Käse zu naschen. Sie ging hinaus in den Flur, griff sich das Handgepäck mit dem Schmuck, den sie auf die Reise mitgenommen hatte, und ging hinauf ins Schlafzimmer.
Sie legte das Gepäckstück aufs Bett, öffnete es und nahm den Lederbeutel mit den Schmuckstücken heraus. Wenigstens diesmal habe ich auf Lloyd gehört und weniger als sonst mitgenommen, dachte sie. Trotzdem, hätte ich doch bloß für das Kapitänsdinner an Bord die Smaragde dabeigehabt.
Nun, was soll’s!
Sie nahm die Ringe, Armbänder, Ohrringe und Ket ten heraus, breitete sie auf der Tagesdecke aus, betrach tete sie eingehend und überzeugte sich, dass auch alles vollzählig vorhanden war.
Dann legte sie alles auf das Tablett auf ihrem Toilettentisch, trug es ins Ankleidezimmer und öffnete die Schranktür. Dort stand der dunkle, massive Stahlsafe. Sie gab die Kombination ein und ließ die Tür aufschwingen.
Das Innere bestand aus zehn Schubladenreihen mit verschieden großen, mit Samt ausgekleideten Fächern. Lisa zog die oberste heraus, schnappte nach Luft und riss daraufhin hektisch Schublade für Schublade heraus. Statt auf ihre funkelnden, wertvollen Edelsteine starrte sie ausnahmslos auf schwarzen Samt.
Der Safe war leer.
11
A l virah beschloss, mit ihrem Anruf bei Mariah bis zum nächsten Morgen zu warten. »Willy, du weißt doch, wie das nach einer Beerdigung so ist. Ich wette, wenn Mariah nach Hause kommt, will sie einfach nur ihre Ruhe haben. Weiß Gott, was im Kopf der armen Kathleen vorgeht.«
Sechs von Willys Schwestern waren ins Kloster gegangen. Die siebte, die älteste und einzige, die jemals geheiratet hatte, war fünfzehn Jahre zuvor gestorben. Willy konnte sich noch gut erinnern, wie froh er gewesen war, als er nach der Beerdigung in Nebraska und dem langen Rückflug endlich wieder in ihrer damaligen Wohnung in Jackson Heights eingetroffen war. Alvirah hatte ihm ein Sandwich gemacht und ein kaltes Bier hingestellt, ihn ansonsten aber in Ruhe gelassen, damit er über Madeline nachdenken konnte, seine Lieblingsschwester. Madeline war ein stiller, bescheidener Mensch gewesen, ganz anders als die wunderbare, aber doch recht herrische Cordelia, seine nächstältere Schwester.
»Wann waren wir das letzte Mal bei Jonathan zum Essen?«, fragte er Alvirah. »War das nicht vor ungefähr zwei Monaten, Ende Juni?«
Alvirah war mit dem Auspacken fertig, hatte die Wäsche für die Reinigung vorsortiert und sich eine bequeme Stretchhose und ein T-Shirt übergestreift. Zufrieden ließ sie sich nun in ihrer Wohnung in der Central Park South gegenüber von Willy in einem Sessel nieder.
»Ja«, bestätigte sie. »Neben Mariah waren auch noch Richard Callahan und Greg Pearson da. Und diese anderen beiden, die ihn immer bei den archäologischen Grabungen begleiten. Du weißt schon. Wie heißen sie wieder?« Alvirah runzelte die Stirn und konzentrierte sich auf die Gedächtnistricks, die sie in einem
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