Mein Auge ruht auf dir - Thriller
Ich sollte sie wenigstens anrufen und ihr sagen, wie leid mir alles tut.
Aber ich werde mich auf keinen Fall mit ihr treffen, beschloss sie und nahm dankbar das Glas Wein entgegen, das Willy ihr reichte.
»Zeit für den gemütlichen Teil des Tages, meine Liebe«, sagte er. »Siebzehn Uhr, auf die Sekunde.«
Am nächsten Morgen wartete sie bis elf, dann rief sie Mariah an.
»Alvirah, ich kann jetzt nicht«, kam Mariahs hastige Antwort. Sie klang angespannt. »Die Detectives sind hier und wollen noch mal mit Mom und mir reden. Sind Sie zu Hause? Dann rufe ich zurück.«
Alvirah konnte nur noch »ja, ich bin zu Hause« erwidern, dann wurde auch schon aufgelegt.
Keine fünf Minuten später klingelte das Telefon. Eine in Tränen aufgelöste Lily Stewart war am Apparat. »Alvirah, wahrscheinlich wollen Sie nichts von mir hören, aber ich brauche Ihren Rat. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich weiß einfach nicht weiter. Können wir uns treffen?«
12
M it der Wochenendpflegerin ihrer Mutter, Delia Jackson, einer stattlichen schwarzen Frau Ende vierzig, kam Mariah wesentlich besser zurecht als mit Rory Steiger. Delia hatte immer gute Laune. Der einzige Nachteil bestand darin, dass sich ihre Mutter manchmal strikt weigerte, sich anzuziehen oder zu essen, wenn sich Delia um sie kümmerte.
»Mom ist von Rory eingeschüchtert. In Delias Gegenwart ist sie immer viel entspannter«, hatte Mariah gemutmaßt, und ihr Vater hatte ihr zugestimmt.
Am Samstagmorgen, als die Detectives eintrafen, saß Kathleen trotz allen Flehens und Bittens von Mariah und Delia immer noch in Nachthemd und Morgenmantel im Ohrensessel im Wohnzimmer und hatte die Augen halb geschlossen. Beim Frühstück hatte sie Mariah gefragt, wo Jonathan sei. Nun ignorierte sie die beiden Polizisten, die sich mit ihr unterhalten wollten, teilte ihnen lediglich mit, dass ihr Mann bald nach unten kommen und mit ihnen reden werde. Als Kathleen jedoch Lloyd Scotts Stimme hörte, sprang sie auf, eilte zu ihm und umarmte ihn. »Lloyd, wie bin ich froh, dass Sie wieder hier sind«, sagte sie. »Haben Sie schon gehört, Jonathan ist tot. Jemand hat ihn erschossen.«
Mit wachsendem Unbehagen sah Mariah, wie die beiden Polizisten einen Blick wechselten. Sie glauben, Mom würde ihnen nur etwas vorspielen, dachte sie. Ihnen ist nicht klar, inwieweit sie die Realität jederzeit ein- oder ausblenden kann.
Lloyd Scott führte Kathleen zur Couch, ließ sich neben ihr nieder und hielt ihr die Hand. Den Blick auf Simon Benet gerichtet, fragte er: »Gehört Mrs. Lyons bei den Ermittlungen zum Kreis der Tatverdächtigen?«
»Mrs. Lyons war zum Zeitpunkt des Mordes anscheinend mit ihrem Mann allein im Haus«, antwortete Benet. »Es gibt keinerlei Anzeichen eines Einbruchs oder eines gewaltsamen Eindringens. Wir sind uns dabei durchaus bewusst, dass Mrs. Lyons aufgrund ihres Gesundheitszustands leicht Opfer eines Täuschungsmanövers werden könnte. Wir sind hier, um uns ein vollständiges Bild von den Ereignissen am Montagabend zu machen … soweit Mrs. Lyons uns darüber etwas erzählen kann.«
»Verstehe. Dann ist Ihnen klar, dass Mrs. Lyons in ihrem fortgeschrittenen Stadium der Demenz weder Ihre Fragen noch ihre eigenen Antworten verstehen kann?«
»Die Tatwaffe ist im Wandschrank bei Mrs. Lyons gefunden worden«, erklärte Rita Rodriguez ruhig. »Es wurden darauf Fingerabdrücke von insgesamt drei Personen festgestellt. Zum einen von Professor Lyons, ihm hat die Waffe gehört. Der Gerichtsmediziner hat von ihm Fingerabdrücke abgenommen. Zum anderen von Mariah Lyons, die ihre Mutter gefunden und ihr die Waffe aus der Hand genommen hat. Und am Abzug fand sich schließlich der Fingerabdruck von Kathleen Lyons. Wir haben von ihr im Krankenhaus die Abdrücke genommen. Nach allem, was Mrs. Lyons sowohl ihrer Tochter als auch der Krankenpflegerin erzählt hat, hat sie die Waffe aufgehoben und sich dann im Schrank versteckt. Laut Rory Steiger, und das wurde von der Haushälterin Betty Pierce bestätigt, war Mrs. Lyons am Abend beim Essen wegen der Affäre ihres Mannes mit Lillian Stewart sehr aufgewühlt. Sowohl Mrs. Lyons als auch ihre Tochter haben laut eigener Aussage den Toten umarmt, wodurch sich die Blutflecken an ihrer Kleidung erklären.«
Mit Entsetzen wurde Mariah klar, dass die Polizei zwar von der Demenz ihrer Mutter wusste, aber dennoch glaubte, sie habe die Tat begangen. Und dabei hatten die Detectives, jedenfalls nach Mariahs Kenntnisstand, noch gar nicht
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