Mein bis in den Tod
Kellnerin, Alec im Auge zu behalten, ging zur Toilette, schloss sich in einer Kabine ein, setzte sich und weinte in die Hände.
Es dauerte mehrere Minuten, bis sie so gefasst war, dass sie zum Tisch zurückgehen konnte. Als sie dort ankam, war Alecs Essen schon da. Er saß dahinter, eine Ketchup-Flasche in der Hand, der größte Teil des Inhalts befand sich auf dem Tisch, in seinem Gesicht, auf dem Hemd und an den Händen. »Der Deckel ist abgegangen, Mami. Ich konnte nichts dafür.«
Während sie ihn abwischte, sagte er: »Weinst du, weil Daddy nicht bei uns ist?«
Sie lächelte matt. »Es geht mir gut, ich bin heute nur etwas traurig.«
»Du hast gesagt, du willst Daddy anrufen, damit er uns hier trifft.«
»Ich rufe ihn gleich an.«
Plötzlich fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ihr normales Handy mitzunehmen. Und wenn schon. Das war jetzt nicht wichtig. Sie griff in ihre Handtasche, zog ihr privates Handy heraus und schaltete es an. Bevor sie die Gelegenheit hatte zu wählen, piepte die Anzeige für neue Nachrichten. Sie hielt das Telefon ans Ohr und horchte.
»Faith, hallo, Oliver hier. Ruf mich bitte so bald wie möglich auf meinem Handy an.«
Sie hörte zu und kämpfte gegen ihre Emotionen an. Er musste die Nachricht gestern, als er noch lebte, draufgesprochen haben. Sie spielte sie noch mal. Seine Stimme klang gedämpft. Hatte er gewusst, dass etwas nicht stimmte, dass jemand hinter ihm her war?
Hatte er angerufen, um sie zu warnen?
Warum habe ich gestern meine Nachrichten nicht abgehört?
Als sie aufstand, wurde ihr etwas schwindlig. »Ich bin gleich wieder da, Schatz. Iss dein Lunch.«
Sie ging nach draußen und blieb unter der Überdachung stehen, während der Wind den Regen gegen sie trieb, und hörte die Nachricht zum dritten Mal ab. Plötzlich klingelte das Handy. Erschrocken drückte sie auf den Antwort-Knopf. »Hallo?«
»Faith?«
Es war Oliver.
Einen Augenblick lang dachte sie, es müsse eine andere Nachricht sein. Dann hörte sie erneut seine Stimme. »Faith, kannst du reden?«
Ihre Stimme zitterte. »Oliver?«
»Harvey ist ermordet worden. Mein Bruder. Es ist so furchtbar, ich – ich kann nicht glauben, was passiert ist.«
»In den Fernsehnachrichten hieß es –«
»Harvey«, sagte er. Er weinte. »O Gott, irgendein Dreckskerl hat meinen Bruder umgebracht.«
»Es hieß, du wärst der Tote gewesen.«
»Ich bin so froh, dass ich dich erreicht habe. Ich musste mit dir sprechen, musste einfach deine Stimme hören. Ich muss jetzt los – die Polizei – oh, verdammt. Kann ich dich später anrufen?«
»Ja.«
Er sagte etwas, was sie nicht hören konnte, und legte auf.
Sie stand wie angewurzelt da, lehnte sich gegen die beschlagene Glasscheibe und sah zu, wie Alec sich mit seinem Essen beschäftigte. Sie wusste, sie sollte nicht so fühlen, denn ein Mensch war tot – zwei Männer waren tot –, der Bruder des Mannes, den sie liebte, war tot. Ein netter Mann, sie hatte ihn noch deutlich in Erinnerung. Sicher, sie sollte nicht in Hochstimmung sein.
Aber sie konnte nicht anders.
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69
D raußen, zwei Stockwerke weiter unten, ratterte ein Güterzug in Richtung Hafen vorbei. Er machte einen Lärm, als ob ein Baugerüst einstürzte.
Spider saß in zerknittertem weißem T-Shirt und Unterhose auf dem harten Bett in seiner beengten Wohnung mit kahlen Wänden.
Er hatte nicht geschlafen. Graues Licht fiel durch die schmuddeligen Fenster ohne Vorhänge. Der Fernseher am Ende des Betts lief, so wie die ganze Nacht, bei ausgeschaltetem Ton. Vom Teller auf dem Fußboden neben dem Bett stieg der Geruch von altem Fett auf. Neben dem Teller stand eine Coladose, darauf die ausgedrückte Kippe einer Marlboro Light.
Es war Montagmorgen. Er fühlte sich beschissen. Sevroula weigerte sich, mit ihm zu reden. Keine seiner Ausreden, warum er sie am Samstagabend versetzt hatte, hatte sie ihm abgekauft. Und im Fernsehen hatte er ein Fahndungsfoto von sich gesehen. Schon ein halbes Dutzend Mal an diesem Morgen. Auf ITV , auf BBC 1, auf Sky, in jeder Scheißnachrichtensendung.
Eine unglaublich präzise Ähnlichkeit.
Und damit konnte er wahrscheinlich nicht nur seine Hoffnung auf eine Heirat mit Sevroula begraben, sondern auch seinen grünen Subaru Impreza. Er hoffte nur, dass der Mistkerl von Verkäufer ihm die Anzahlung zurückerstattete.
Das Telefon klingelte. Er nahm ab, in der Hoffnung, es sei Sevroula.
Eine Männerstimme sagte: »Du Arschloch. Was bist du doch für ein Vollidiot.
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