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Mein bis in den Tod

Mein bis in den Tod

Titel: Mein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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Zentralnervensystem herumknabberten.
    Alle Lebewesen versuchten zu überleben. Das Leben. Die ewige Nahrungskette. Hierin lag die Ironie, die ihr nicht behagte: Ein fühlender Mensch, das Lebewesen an der Spitze der Evolution, war nichts weiter als eine verdammte Kantine für Milliarden hirnloser Amöben.
    »Hallo«, sagte Ross, »Darling, hallo! Prost! Irgendwer zu Hause?«
    Sie wurde aus ihren Gedanken herausgerissen und hob trostlos lächelnd ihr Glas.
    »Einen besseren Champagner findest du nie, das verspreche ich dir.«
    Sie trank einen kleinen Schluck; er hatte Recht: Der Champagner war phantastisch: nach Honig duftend, vollmundig, unglaublich erdig. Und wenn schon, dachte sie, und trank noch einen größeren Schluck. Vielleicht hob der Champagner ja ihre Stimmung. Oliver hatte ihr erzählt, wie wichtig es sei, positiv zu denken, in jeder Minute entschlossen zu sein, diese fiesen Amöben zu besiegen.
    »Er ist gut«, sagte sie. Es ist nach sieben, dachte sie. Sie wollte mit Oliver sprechen. Morgen würde sie ihn wiedersehen. Morgen, hoffte sie, würden sie wieder miteinander schlafen. Sie wollte mit ihm im Bett liegen, wollte seine Haut berühren und ihn in sich spüren. Sie fühlte sich ihm näher, als sie sich Ross jemals gefühlt hatte. Als ob sie Oliver besser kannte, als sie Ross jemals kennen würde. Sie
musste
heute Abend mit ihm sprechen. Wenn sie Glück hatte, würde Ross in seinem Arbeitszimmer bleiben, während sie das Abendessen vorbereitete. Dann könnte sie Oliver anrufen.
    Ross strahlte sie an. »Du siehst wunderschön aus. Seit Wochen hast du nicht mehr so gut ausgesehen. Wirken die Tabletten schon?«
    Sie schwieg.
    Er reichte ihr die Oliven. Sie nahm sich eine, genoss den salzigen Geschmack der Anchovis und trank noch einen Schluck. An ihrem salzigen Gaumen schmeckte der Champagner noch dichter und vollmundiger, sie spürte, wie er in ihren Adern perlte und ihre Stimmung hob.
    O nein.
    Nur eine ganz kleine Bewegung. Als wäre das Zimmer ein Eisenbahnwaggon, der schnell um eine Kurve fuhr. Das Gefühl, zu kippen. So leicht, dass sie meinte, sie bilde es sich nur ein.
    Sie leerte ihr Glas, plötzlich wollte sie den Alkohol unbedingt in sich haben, wollte spüren, wie er in ihr wirkte, sie in Schwung brachte, in gute Laune versetzte.
    »Richtig so, runter damit!«
    »Du wirkst besorgt«, sagte sie.
    »Ich?«
    Seine Stimme klang merkwürdiger denn je.
Bist du wirklich Ross?
    »Warum rauchst du nicht? Es kommt mir komisch vor, dich hier drin ohne Zigarre zu sehen.«
    »Der Champagner ist zu gut. Die Zigarre würde ihm den Geschmack nehmen.«
    »Unsinn!«
    Er grinste. Sie bemerkte, dass auch sie grinste, übers ganze Gesicht, und lachte.
Gott, ich bin betrunken! Nach einem Glas!
»Du bist nicht Ross«, sagte sie. »Ich glaube, du bist ein Alien, der aussieht wie Ross, und bist hierher entsandt worden, um mich betrunken zu machen.«
    Plötzlich schmolz er, zerfloss auf seinem Stuhl. Und da war noch eine merkwürdige Empfindung in ihrem Kopf – so, als versuchte jemand, sehr langsam, aber sehr fest, das Hirn in ihrem Schädel zu drehen. Und er hatte Erfolg damit, denn jetzt konnte sie nur noch das Innere ihres Schädels sehen, wie eine Höhle: unebene Wülste an den Wänden, die gewölbte Schale, dann die seltsame rosafarbene Spirale ihres Ohrs, während das schwache Tageslicht in den Korkenziehertunnel drang.
    Nun sah sie wieder nur ihre Augenhöhlen. Das war toll! Es war, als läge ihr Gehirn auf einem Plattenteller. Sie konnte es willkürlich drehen. Es drehen, bis ihre Augen ganz hinten in ihrem Schädel lagen. Kichernd sagte sie zu Ross, sie habe hinten am Kopf Augen.
    Jetzt war Ross wieder fest. Fest, doch verschwommen an den Rändern. Offenbar gab es da ein intensives orangenfarbenes Licht, dort, wo die Umrisse seines Körpers mit der Luft zusammentrafen. Er blickte aus dem Fenster. »Wartest du auf einen Bus?«, fragte sie. »Oder einen Zug?«
    Dann wurde ihr alles klar, und Panik überfiel sie. Sie befand sich wieder außerhalb ihres Körpers. Aber diesmal nicht oben an der Decke, sondern einfach nicht in Einklang mit ihren inneren Organen. Entleibt. Sie hörte eine Stimme, die ihre hätte sein können, aber sie war sich nicht sicher. Die Stimme sagte: »Ross, ich fühle mich ganz seltsam.«
    Er sah immer noch zum Fenster hinaus.
    Ich bin tot. Deshalb dreht er sich nicht zu mir um. Ich bin tot, und er kann mich nicht hören.
    Sie testete sich selbst, sprach langsam einzelne Wörter aus,

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