Mein Boss, die Memme
von selbst. Die treu sorgende Oberglucke nimmt lieber alles auf die eigenen Schultern, um die lieben Kleinen vor der schrecklichen Realität zu schützen. Die Kuschel-Süchtige will am liebsten ein Team von kleinen Memmen. Das kann anstrengend werden, für selbständig denkende Menschen die pure Hölle.
Jede Mutter will für ihre Fürsorge immer auch ein Stück Zuneigung zurück, will ihrerseits gedrückt werden, will spüren, dass die lieben Kleinen sie auch lieb haben. SchlieÃlich bringt die Mutter Opfer. Bleibt aber der Dank aus, dann Vorsicht! Wer pampig oder unwillig reagiert, muss mit Strafe rechnen. Und sei es nur das abermalige, intensivierte Nachfragen, ob denn wirklich alles okay sei.
Die Mutter-Memme, Mann wie Frau, reagiert weinerlich, trotzig, vielleicht sogar zickig. Im schlimmsten Fall wird sie zu einem Liebestyrann. Einer, der seine Untergebenen langsam weichkocht.
Die Gefühlsachterbahn
Etwas, das mir als US-Amerikaner in deutschen Unternehmen schnell auffiel und sensiblere Cheftypen wohl schnell das Gruseln lehrt, ist die Neigung der selbstbewussten Mitarbeiterschaft, ihre Meinung offen zu äuÃern.
Laut der aktuellen »Internationalen Mitarbeiterbefragung« des Geva-Instituts erwarten 62 Prozent der deutschen Arbeitnehmer von ihrem Vorgesetzten Toleranz gegenüber anderen Meinungen. 55 Prozent geben an, dass Chefs bereit sein sollen, Kritik zu akzeptieren.
Ungünstige Bedingungen für empfindliche Führungskräfte, denen jedes harte Wort Schmerzen bereitet, für die jede zwischenmenschliche Dissonanz eine schwer zu ertragende Vertrauenskrise bedeutet, die Konflikte am liebsten unter den Teppich kehren. Feindliche Lebensbedingungen ganz besonders für den Kuschel-Junkie, der diesen Dialekt nach Kräften auszurotten versucht, sobald er seinen Posten antritt.
Wer sich als Mitarbeiter dennoch nicht den Mund von Keksen und Nettigkeiten verstopfen lässt, den erwartet häufig eine emotionale Berg- und Talfahrt der heftigeren Art. So wie die Verkäuferin und ihre Kollegen in folgendem Beispiel, in dem ihr Chef zur schlagkräftigsten Waffe der Kuschel-Junkies greift â nämlich dem Liebesentzug für sein Team:
Die Rache des Gekränkten
»Unser Filialleiter strahlt immer. Ein richtiges Honigkuchenpferd. Die Sache ist nur, dass unser Team nicht nur aus Dauergrinsern besteht, sondern auch aus ein paar härteren Kalibern, die auch mal deutlich ihre Meinung sagen.
Als uns der Chef letztens eine von ihm entwickelte Idee vorstellte, fragten einige Kollegen genauer nach. Nicht unfreundlich, aber bestimmt. Wir wollten schlieÃlich wissen, wie der Plan genau funktionieren sollte. Am Ende der Diskussion blieb von dem Konzept nicht viel übrig. Unser Chef war richtig eingeschnappt, und plötzlich wurde die Unterhaltung von seiner Seite aus persönlich, fast beleidigend. Er reagierte wie eine reÂsolute Mutter, deren undankbaren Kindern das liebevoll gekochte, aber leider versalzene Essen nicht schmeckt. Als müssten wir es entgegen aller Vernunft schlucken, weil wir es ihm schuldig waren. Es war so irrational, dass meine Kollegen nur den Kopf schüttelten. Am liebsten hätte ich meinen Chef vor sich selbst gerettet.
Am nächsten Tag kam er dann und fragte nur: »Wieder Freunde, ja?«
Klar, wir kannten es ja schon und keiner konnte ihm länger böse sein. Manchmal, wenn er offen über seine Situation redete, gab er ja zu, dass ihn der Job eigentlich überforderte.
Bei der nächsten Meinungsverschiedenheit beschloss er dann allerdings mal Konsequenzen zu ziehen. Das hieà in seiner Welt: nicht mehr mit uns Mittagessen zu gehen. Das hielt er dann immerhin drei Tage lang durch. «
Susanne P., Verkäuferin
Eine beleidigte Memme der Extraklasse . Ihr Problem: Die Beziehung zu ihren Mitarbeitern ist immer hochemotional â wenn die Stimmung gut ist, aber eben auch wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt. Und so ist der Boss einmal trunken vor Glück, das andere Mal kocht er über vor Wut und Enttäuschung. Durch seinen Rückzug in den Schmollwinkel sollen seine Mitarbeiter bestraft werden. Liebesentzug als Antwort auf eine vermeintliche Zurückweisung; in Wirklichkeit aber ein Ausdruck seiner tiefen Verunsicherung.
Nun muss ich ehrlicherweise gestehen, dass ich zunächst mit der kritischen Haltung meiner deutschen Kollegen ebenfalls ein erhebliches Problem hatte. Als ich
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