Mein Boss, die Memme
bisschen Struktur in unserem Arbeitsalltag. Jeder braucht ein paar Spielregeln, innerhalb derer man sich im Team bewegen und wohlfühlen kann. Wenn ich die überschreite, sollte mich mein Chef ermahnen â bevor das die genervten Kollegen übernehmen müssen.
Chefs, die ihre Weisungsbefugnis nicht nutzen, weil sie den Liebesentzug ihrer Mitarbeiter fürchten, lügen sich selbst und ihrem Team etwas vor. Sie verdrängen die Realität zugunsten einer trügerischen Scheinidylle. Das geht solange gut, bis die Idylle erste Risse bekommt, weil aus dem »es jedem recht machen« eine groÃe Ungerechtigkeit für alle wird, die auf Dauer das gesamte Gefüge destabilisiert.
Frühzeitig Grenzen auszuhandeln gehört zu einer guten Beziehung, ob am Arbeitsplatz oder in einer Liebespartnerschaft. Nichts davon funktioniert im Dauerkonsens, im schmerzfreien Konjunktiv von »könntest du vielleicht« und auch nicht mit endlosem Reden um den heiÃen Brei. Eine Beziehung wird zu einer gelungenen Partnerschaft, wenn ein ehrlicher und fairer Meinungsaustausch die Wertschätzung für den jeweils anderen nicht verringert, sondern stärkt.
Klar ist aber auch, dass bei wichtigen und zugleich strittigen Fragen am Ende jemand die Entscheidung treffen muss. Und das kann eben nicht der Mitarbeiter, sondern nur die Führungskraft â weil sie mehr als jeder Mitarbeiter dem Teaminteresse verpflichtet ist.
Fürsorge als Grenzübertretung
Manche Chefs wollen so viel Nähe, dass kein Blatt mehr zwischen sie und ihr Team passt. Eine echte Herausforderung für Mitarbeiter, die keine Lust verspüren, selbst zu Memmen zu werden. So wie hier der kaufmännische Assistent im folgenden Beispiel, der sich doch an der Kuschelsucht seiner Chefin stört:
Nicht ohne Umarmung
»Stellen Sie sich vor, unsere Vorgesetzte begrüÃte uns jeden Morgen mit einer innigen Umarmung â begleitet von der in tiefem Ernst ausgesprochenen Frage: ⺠Wie geht es dir? â¹ , der ein tiefer Blick aus treusorgenden Augen folgte.
Alle in unserem kleinen Team mochten die Frau. Am Anfang fanden einige von uns sogar den morgendlichen Ringelpiez mit Anfassen noch irgendwie nett. Aber so viel aufrichtige Nonstop-Teilnahme nervt irgendwann. Auch wenn sie es nie forderte, hatte ich das Gefühl, alles über mich erzählen zu müssen. Aber mal ehrlich: Wenn ich bemuttert werden will, dann fahre ich meine Eltern besuchen. Was gehen meine Chefin etwa meine Eheprobleme an? «
Sebastian L., Kaufmännischer Assistent
Nichts gegen eine gelegentliche, herzliche Umarmung. Wenn man Geburtstag feiert. Wenn Herausragendes geleistet wurde. Und wenn die Beziehung zwischen Chef und Mitarbeiter für beide Seiten den Körperkontakt ganz selbstverständlich macht.
Aber hier wird Anteilnahme zu einer Grenzübertretung, ja zur Belästigung, wie wir schon am zunehmend genervten Ton des Mitarbeiters erkennen können:
»Irgendwann reichte unserer Chefin die gezeigte Fürsorge nicht mehr. Für noch mehr Nähe zog sie aus ihrem Büro in das GroÃraumbüro des Teams. Ja, tatsächlich. Um mitten unter ihren heià geliebten Schäfchen sein zu dürfen. Einige von uns zeigten sich bereits leicht irritiert. Ãber nichts konnte man jetzt noch offen reden. Fluchte man aus belanglosem Grund, gab es sofort eine Aufmerksamkeitswelle. Für manche von uns war es wohl eher ein Betroffenheitstsunami. Fehlten nur noch eine Krabbelkiste in der Mitte des Raums und eine Mikrowelle, um mittags die Fläschchen aufzuwärmen.
Mit der Zeit wurden wir Mitarbeiter richtiggehend kirre. Vor allem, weil die Chefin viele Aufgaben auf ihrem Tisch hortete. Wir hätten ja sowieso so viel zu tun, wir Armen. Als wir ihr das nicht dankten, sondern uns beschwerten, zog sie ein be leidigtes Gesicht. Sie wolle ja nur unser Bestes. Ja, leider, antwortete ich eines Tages â unfähig, meinen Ãrger länger zurückzuhalten. «
Hier ist die Chefin eine Memme im wahrsten Sinne des Wortes. Kommt das Wort Memme doch schlieÃlich von der althochdeutschen »Mamme«, was so viel bedeutet wie Mutterbrust. Am liebsten hätte diese Memme jeden ihrer Mitarbeiter an die Brust gelegt, voller Fürsorge und Mutterliebe â und in vollster liebesbedürftiger Abhängigkeit.
Dass die Chefin zudem gern ihre Mitarbeiter von jeder noch so geringen Anstrengung bewahrt, versteht sich
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