Mein Boss, die Memme
Präsenzpflicht, der heilige Gral der Kontrollgläubigen. Und das, obwohl sich 68 Prozent der Männer und 79 Prozent der Frauen in Deutschland eine zeitlich flexiblere Arbeit wünschen, so das Ergebnis der Studie »Hewitt HR Trends 2010: Flexibel Arbeiten liegt im Trend« der Personalmanagement-Beratung Hewitt Associates GmbH.
Die Studie offenbarte auch, welche Bedenken in den Köpfen der Entscheider-Memmen kreisen: 61 Prozent der befragten Unternehmen glauben, dass flexiblere Arbeitszeiten das Arbeitsvolumen der Mitarbeiter reduzieren. 31 Prozent fürchten sogar Defizite bei der Führung.
Die Macher der Studie konstatieren: Angst vor Kontrollverlust.
Auch wenn die reale Stechuhr ein Auslaufmodell und fast nur noch in Fabriken zu finden ist, lebt sie in den Köpfen vieler auf Kontrolle bedachter Unternehmensführer weiter. Dass Mitarbeiter von 9 bis 18 Uhr anwesend und nur zu festen Pausenzeiten nicht an ihrem Arbeitsplatz sein sollen, das ist in den Köpfen zu vieler Chefs nach wie vor eine Selbstverständlichkeit. Und für die meisten von ihnen ist dieses verkrustete Arbeitszeitmodell noch wesentlich wichtiger als die eigentlich erbrachten Leistungen ihrer Mitarbeiter. Denn die lassen sich selbst mit dem besten IT -System nicht so leicht messen und beurteilen wie das Einhalten klar definierter Arbeitszeiten.
Die Pflicht zur Anwesenheit ist ein Dinosaurier aus der Vorzeit der Industrialisierung. Das ist für viele Chefs, die mit ihren Ansichten selbst mit beiden Beinen in der Vergangenheit stehen, leider schwer zu begreifen, wie ich selbst während meiner Zeit als leitender Manager eines groÃen internationalen Technikkonzerns erleben musste:
Out of Control
Der deutsche Firmenhauptsitz des Konzerns liegt im Südwesten Deutschlands. Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Büros in groÃen deutschen Städten. Als leitender Manager hatte ich mehr als ein Jahr vom Hauptsitz aus das Unternehmen geführt und dabei die Hälfte der Woche auf Reisen verbracht â zu Kunden oder zu besagten Büros.
Als ich eine neue Beziehung begann, mit einer Frau, die selbst in einer anderen deutschen GroÃstadt lebte, beschloss ich einfach von dort aus zu arbeiten â schlieÃlich gab es dort eine Vertretung der Firma. Mir war klar: Ich würde meine Mitarbeiter, die über ganz Deutschland verteilt waren, nicht seltener sehen als bisher. Wie gewohnt würde ich vieles per Telefon oder E-Mail regeln. Als mein Vorgesetzter, der Europa-Chef, von meinem Vorhaben erfuhr, wollte er es mir glattweg untersagen. Ich hätte bei meinen Mitarbeitern zu sein und die säÃen zu einem groÃen Teil eben in der Zentrale. Ich erklärte ihm meinen Job und die Tatsache, dass dieser es mit sich brachte, dass ich die Mehrzahl meiner Tage nicht im Hauptsitz der Firma verbrachte.
Das war ihm leider egal. Ãberhaupt, so seine Beschwerde, die er nun endlich loswerden konnte, würde ich in seinen Augen gar nicht richtig führen. Seiner Meinung nach würde ich meinen Mitarbeitern zu viele Freiheiten gewähren.
Nein, das wollte ich nicht leugnen. Ganz im Gegenteil. Mir ist es nämlich völlig egal, wie viele Stunden meine Mitarbeiter in ihren Büros verbringen. Von mir aus können sie sich auch im Park auf der Wiese treffen. Oder auch um vier Uhr nachmittags nach Hause gehen. Die Hauptsache für mich ist, dass sie ihre Arbeit machen und unsere vereinbarten Ziele erreichen. Und das geht manchmal auch besser auÃerhalb des Büros.
Mein Vorgesetzter schüttelte bei meinen Worten nur den Kopf. Das ginge überhaupt nicht. Und das würde ich schon merken. Hinter meinem Rücken begann er meine Mitarbeiter nach mir auszufragen: Wann und wie oft seht ihr Patrick?
Wirklich etwas tun gegen mich und meine Idee von Führung konnte er nicht, dazu war mein Team viel zu erfolgreich. Und ich zog um.
Memmen-Boss X, was denkt er wohl, wenn ihm die KonÂtrolle aus den Händen gleitet? Wenn er die Mitarbeiter â und deren Chef â nicht mehr jederzeit abrufbar, kontrollierbar und dirigierbar in ihren Büros weiÃ?
Ihn überkommt die Angst. Wenn er vor seinem inneren Auge Mitarbeiter lachend auf einer Wiese liegen sieht, lässig die Arbeitsunterlagen in der einen Hand, in der anderen ein Eis. Von allen altmodischen Unternehmensfesseln befreit. Weit und breit niemand, der sie anbellt und in die Schranken und zurück an ihren
Weitere Kostenlose Bücher