Mein Boss, die Memme
Herangehensweise von James.
Man könnte sagen, der Mann hat das Erfolgsgeheimnis von Baseball enträtselt. Endlich verstand man mit Hilfe einer genauen Analyse von Statistiken, was auf dem Feld passiert, was einen Werfer wirklich erfolgreich macht. Als Schüler, dessen Lieblingsfach Mathematik war, faszinierte mich diese Herangehensweise.
Nach einigen Jahren im Management aber erkannte ich: Die Zahlen waren gar nicht das eigentliche Erfolgsgeheimnis von Jamesâ Methode. Sie waren eher ein Mittel zum Zweck. Er, der auf viele wie ein rationalistischer Statistiker wirkte, wurde von etwas ganz anderem angetrieben, das ich erst im Laufe meiner Karriere verstand: seiner Leidenschaft für Baseball. Es waren nicht die Zahlen, die von ihm beratene Teams zu Gewinnern machen, sondern sein kritischer, meinungsfreudiger Geist, der den Gegenstand »Baseball« mit Leben, mit Motivation erfüllte. Es waren die Zusammenhänge, die Worte und die Bilder, die sich aus den Zahlen ergaben. Die Stimme, die er ihnen verlieh.
Zahlen allein können das Spiel nicht verändern. Baseball nicht. Und auch kein anderes.
Daran denke ich oft, wenn ich an Universitäten, vornehmlich an Wirtschaftsfakultäten und Business Schools, Vorträge halte. Als Mann der Praxis spreche ich mit den StuÂdenten über das, was ich für die elementaren Eigenschaften einer Führungskraft halte. Ãber Werte wie Respekt und WertschätÂzung, Eigenschaften wie Empathie und Integrität, aber auch Mut und Risikobereitschaft â die sogenannten Soft Skills also.
Dabei komme ich mir oft vor, als wäre ich für die Universitäten das sprichwörtliche Feigenblatt. Begegnen mir beim Blick ins Vorlesungsverzeichnis doch fast ausschlieÃlich Kurse wie Kosten- und Leistungsrechnung, Makroökonomie, Mikroökonomie, Finanzierung, Mathematik und Statistik. Es ist eine Welt der Zahlen und Modelle, der Arithmetik und der Formeln.
Wie, frage ich mich da, soll man hier lernen, das Spiel zu verändern?
Die deutsche Führungskrise ist auch das Resultat einer Bildungsmisere â einer Wirtschaftsbildung, die Manager zu kühlen Mathematikern erzieht. Die nur noch mehr Zahlen ausspucken, wenn man sie nach ihrer persönlichen Einschätzung eines Sachverhalts fragt. Die lieber die Zahlen ändern als ihre Meinung, wenn eine Rechnung nicht aufgeht. Ersteres können sie nämlich. Letzteres hat ihnen niemand beigebracht. Also ziehen sich die Memmen auf Zahlen zurück, wenn es brenzlig wird.
In Unternehmen, die von Memmen geÂsteuert werden, dreht sich alles um quantitativ verwertbare Daten. Heute produzieren Unternehmen mehr noch als ihre eigentlichen Produkte, wie etwa Autos, Versicherungen oder Arzneimittel, vor allem eines: Zahlen. Unmengen von Zahlen.
Bevor ein Auto vom Band läuft, ein Arzneimittel in der Apotheke landet, ein Werbefilm im TV gezeigt wird, wird tagaus, tagein in allen Unternehmensbereichen eine Unmenge von Daten erfasst und analysiert. Alles, was in Unternehmen ausgedacht, gebaut, geleistet, geliefert und entschieden wird, jeder Arbeitsschritt bringt Zahlen hervor und basiert zugleich auf ihnen.
Kaum ein Produkt, das nicht zuvor mit Hilfe statistischer Analysen auf seine Erfolgschancen in der jeweiligen Zielgruppe hin getestet wurde. Kein Call-Center-Mitarbeiter, dessen Leistungen nicht nach der Anzahl der täglich bearbeitenden Fälle bewertet wird. Keine Geschäftsidee und keine Zielvorgaben, die nicht auf die letzte Kommastelle genau für zukünftige Quartale prognostiziert werden. Kein Vorstand, der nicht jeden Tag versucht, in Gesprächen mit Analysten den Börsenwert seines Unternehmens voranzutreiben.
Vor allem bei den Absolventen der Business-Schools, die mit ihrem Master of Business Administration gern in Beratungshäusern arbeiten und danach schneller als andere in die Vorstandsetagen groÃer Unternehmen aufsteigen, herrscht »das Triumvirat aus Kennzahlenfetischismus, Kostensenkung und Kurssteigerung«, so die Diagnose von Klaus Werle unter dem Titel »Die Manager-Klone« 2008 im Manager-Magazin .
Es ist ein angelsächsischer, kühl-analytischer Managementstil, nach dem Erfolg berechenbar sein soll. Mit ökonomischen Modellen, in denen der Mensch keine Rolle spielt. Und wenn, dann reduziert auf den homo oeconomicus â das theoretische Modell eines Menschen, der immer rational handelt. Der alle Handlungsalternativen kennt und
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