Mein Boss, die Memme
Arbeitsplatz scheucht. Und alles nur, weil ich, sein zum Gehorsam verpflichteter Manager, seine potenzielle Kontrollmaschine, ihn verraten habe. Es ist ein Alptraum, der Boss X schwindelig werden lässt.
Er könnte es einfach durchgehen lassen. Nur: Mein Boss hat den Geist des Firmenimperiums verinnerlicht, den dunklen Geist der Zentrale, der keine Arbeitsstunden im Park vorsieht. Auch die Firmensoftware als Instrument der Kontrolle sieht bei der Erfassung der Arbeitszeit dafür weder Eingabefeld noch Nummer vor. Klar, die Zentrale will das nicht.
Natürlich: Mein Boss könnte dem altmodischen Unternehmensgeist und seinem Software-System den Mittelfinger zeigen. Aber er tut es nicht. Er will es auch nicht.
Ja, Chefs, ihr habt die Wahl.
Jeder hat sie. Auch die Bosse in der Vorstandsetage, die sich zu Sklaven ihres Misstrauens machen. Und damit ein System des Misstrauens errichten. Ein System, das uns, die Mitarbeiter, zu Sklaven macht.
Denn die Ego-Shooter unter den kleinen und groÃen Chefs werden die Chance nutzen, den Geist des Systems auf ihre Weise zu interpretieren â zur Unterdrückung und Ausbeutung ihrer Mitarbeiter. Sogar mehr als es die Unternehmensleitung vorsieht. Das System bietet Ego-Shootern alle Möglichkeiten, ihre Intrigen zu spinnen. Bestraft wird, wer gegen vorgeschriebene Standards und Prozesse verstöÃt, aber nicht, wer einen Kunden vor den Kopf stöÃt.
Kuschel-Junkies wiederum werden gegen das System nicht aufbegehren. Selbst, wenn sie versuchen, ihre Mitarbeiter so weit wie möglich von dem überall herrschenden Kontrollgeist zu schonen. Zu sehr schwächt sie die fehlende Unterstützung von oben, zu sehr werden ihnen Barrikaden in den Weg gestellt.
Und die Sozialallergiker freuen sich sowieso über jede Möglichkeit, den nach Mensch riechenden Begleiterscheinungen von Führung zu entgehen. Ihnen sind KontrollinsÂtrumente willkommen, die Kommunikation und persönÂlichen Kontakt überflüssig machen. Solange sie nicht aus ihrem Isolationskoma erwachen, gibt es für sie gar keinen Anreiz, die Kultur des Misstrauens in Frage zu stellen.
Das System, gefangen in seinem eigenen Kontrollwahn, erfordert von seinen Führungskräften Mut. Den Mut, es zu sabotieren.
Am Ende ist es nämlich keine Frage des allmächtigen, anonymen Systems. Es ist wieder eine 1:1-Situation. Ich und mein Boss, die Memme.
Und ich glaube: Worum mein Boss X wirklich fürchtet, das ist in Wahrheit nicht der wirtschaftliche Misserfolg des Unternehmens. Nein, er fürchtet, dass genau das Gegenteil eintreten könnte.
Und es ist tatsächlich passiert. Das nämlich wir, die Freiheitskämpfer, am Ende tatsächlich die besten Umsätze von allen Vertretungen des Konzerns weltweit erwirtschafteten. Für meinen Chef war es ein GAU. Und der schlimmste aller möglichen Schläge gegen den dunklen Geist, der meint, man müsse und könne Menschen kontrollieren wie die ausgespuckten Zahlenkolonnen einer Firmensoftware.
Letztendlich spielt es auch keine Rolle, ob es ihm um den Umsatz oder das Festhalten an einem überholten Kontrollglauben geht. Ich weià nicht, was mein Boss denkt. Aber es ist mir auch egal. Er und das System können mich X-weise. Ich nehme mir die Freiheit und gebe sie meinen Mitarbeitern gleich mit.
2. Im Excel-Gefängnis:
die Zahlenfetischisten
Ein Mann namens Bill James revolutionierte Ende der 70er- Jahre meinen Lieblingssport Baseball. Der Mann war, auf taktischer Ebene, ein Zahlenmagier. Er gab ein kleines Heftchen heraus mit Analysen zu jedem Spieltag, die auf seinen eigenen Statistiken beruhten. Zahlen, aber vor allem Einblicke in die Theorie des Baseballs, die es nirgendwo sonst gab. Die Fans mochten das.
Die Fachwelt ignorierte ihn lange Zeit. Belächelte den vermeintlichen Zahlenfetischisten, der Eigenschaften und Fähigkeiten von Spielern in den Vordergrund rückte, die bisher kaum einer beachtet hatte; die aber, wie es sich bald zeigen sollte, entscheidend sind.
Der traditionelle Blick auf Baseball änderte sich, als der Coach einer bisher mäÃig erfolgreichen Mannschaft James als Berater verpflichtete und Spieler nach Auswertungen seiner Statistiken ausgewählt wurden. Die Mannschaft, ausgestattet mit einem verhältnismäÃig kleinen Etat, wurde überraschend erfolgreich. Und wie es so ist mit erfolgreichen Ideen: Andere Profimannschaften vertrauten bald ebenfalls auf die
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