Mein Boss, die Memme
bewerten kann â ein Idealbild, das mit der Realität wenig zu tun hat. Niemand von uns ist perfekt informiert und entscheidet nur nach logischen Kriterien, um seinen eigenen Nutzen zu maximieren.
Für die Führung von Mitarbeitern ist dieses Modell zudem nicht geeignet. Der homo oeconomicus blendet gezielt den menschlichen Faktor aus. Er entscheidet ausschlieÃlich nach wirtschaftlicher Nutzenerwägung und kann alles andere auch nicht argumentieren. Indem er »alles andere« deshalb ausblendet, ignoriert er die Realität der Wirtschaft. Jeder Wirt schaft.
Der homo oeconomicus gehört nicht auf einen Thron. Der Kerl ist eine Memme.
Manager, die einer solchen Ideologie folgen, vertrauen mehr auf Zahlen als auf Menschen. Im festen Glauben, dass alles, was sich haargenau messen lässt, die echte Welt abbildet.
Dahinter steckt eine tiefe Sehnsucht. Die Sehnsucht, ein Unternehmen mit einem Blick auf wenige, aber entscheidende Schaltstellen richtig zu steuern. Es zu beherrschen wie ein Mechaniker seine Maschine.
Mit wenigen Kennzahlen, die die komplexe Realität eines Unternehmens und seiner Menschen auf die kalkulierbare Welt der Ziffern schrumpfen lassen, wird diese Maschine auf- und umgebaut, hoch- oder runtergefahren, beschleunigt oder abgebremst. »Verkaufen hier, zukaufen da, Portfolios optimieren, schnelle Deals und harte Schnitte«, wird der Mechanismus in »Die Manager-Klone« charakterisiert.
Es ist der quartalsgetriebene Geist des Shareholder-Value, der durch die Unternehmen zieht, Beziehungen untergräbt und das Tempo forciert. Und Manager auf die Zahlen auf ihren Bildschirmen starren lässt. In dem vermeintlichen Glauben zu wissen, was in einem Unternehmen tatsächlich passiert und was es erfolgreich macht.
Nur: Mitarbeiter und Chefs nehmen an einem ganz anderen, weit gröÃeren und komplexeren Spiel teil als Baseball. Mit unzähligen Akteuren unter sich ständig wandelnden Bedingungen. Wenn schon für Baseball die Zahlen der geistvollen Interpretation bedürfen, dann erst recht in einem Unternehmen.
Dass sich »die Dinge heute viel zu schnell und unvorhersehbar entwickeln, als dass man sie seriös quantifizieren könnte«, das räumt selbst der Chef einer groÃen Consulting-Firma in »Die Manager-Klone« ein.
Aber genau da wird es ungemütlich. Da kommt das Risiko ins Spiel, und die Angst vor dem Scheitern an Faktoren, die sich nicht berechnen lassen. Das macht die Memme nervös. Zahlen gaukeln eine Präzision vor, die es nicht gibt. Denn hinter den Zahlen stehen wir Menschen. Und wir sind weitaus komplizierter und schwerer zu verstehen als eine Unternehmensbilanz. Deshalb müssen Führungskräfte beides drauf haben: den Umgang mit Zahlen und das Vertrauen in Menschen.
Hätte Bill James seine Leidenschaft für Baseball nicht gehabt, hätte er das Spiel und seine Protagonisten nicht geliebt, dann hätte er sich die Mühe mit den Zahlen gar nicht erst gemacht.
Memmen lieben die Zahlen. Manager lieben das Spiel.
Ich bin keine Zahl
Wenn ich als Chef wissen will, was einen meiner Mitarbeiter auszeichnet, dann vergleiche ich nicht nur seine erreichten Ergebnisse mit den am Anfang des Jahres vereinbarten Zielen. Nein, ich schaue mir vor allem den Mitarbeiter selbst an. Im direkten Kontakt, von Angesicht zu Angesicht, versuche ich zu erfahren, wie er oder sie tickt, wie es meinem MitarÂbeiter in seinem Job ergeht, vor welchen Herausforderungen er oder sie steht und was an Unterstützung erforderlich ist. Zuzuhören, Feedback zu geben, gemeinsam Ideen zu entÂwickeln und Spaà zu haben, das sind für mich elementare Werkzeuge für die realistische Beurteilung eines Mitarbeiters.
Meine Eindrücke, die ich dabei sammle, sind vielfältig. Das Problem ist nur: das übliche Bewertungsformular, das ich einmal im Jahr für jeden Mitarbeiter auszufüllen und an die Human-Ressource-Abteilung zu übergeben habe, bietet dafür nicht genügend Raum. Drei leere Linien unter dem Punkt »Sonstiges« reichen dafür nicht.
Der auszufüllende Bogen ist nicht gemacht für individuelle Eindrücke. Darum geht es den Verantwortlichen auch gar nicht. Das Ziel ist ein anderes.
Unternehmen wollen zahlenbasierte Daten gewinnen, die individuelle Leistungen mit denen anderer Mitarbeiter vergleichbar machen. Wie bei der Produktion von Massengütern ist auch in Sachen menschlicher Ressourcen
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