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Mein Boss, die Memme

Mein Boss, die Memme

Titel: Mein Boss, die Memme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick D. Cowden
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Standardisierung das Zauberwort.
    Und so vereinheitlicht die Kategorien und zu beantwortenden Fragen auf dem Bewertungsbogen sind, so vorgefertigt sind auch die Erwartungen an die Ergebnisse, wie mich eine Human-Resources-Verantwortliche einmal eindrücklich belehrte:
    Ihre Mitarbeiter sind zu gut
    Ich war Chef der Service-Abteilung eines großen Unternehmens, als ich zum ersten Mal im Auftrag einer HR-Abteilung Bewertungsbögen für fünf Dutzend meiner Mitarbeiter ausfüllte. Fünf Fragenblöcke zu verschiedenen Bewertungskategorien – von Teamfähigkeit über Motivation bis hin zu fachlicher Kompetenz. Man konnte bei jeder Frage auf einer Skala von eins für sehr schlecht bis sechs für sehr gut eine Bewertung ab­geben. Ich füllte die Bögen, wie es so schön heißt, nach bestem Wissen und Gewissen aus. Eine Woche später kam die Verantwortliche der HR-Abteilung bei mir vorbei.
    Die Ergebnisse meines Teams gingen gar nicht!
    Ich war erstaunt. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Mitarbeitern und war mit den meisten sehr zufrieden. Das spiegelte sich in meinen Bewertungen wieder. Was also sollte das Problem sein?
    Sie zeigte mit dem Finger auf ein Blatt Papier, auf dem ein Schaubild mit einer Kurve zu sehen war. Die Kurve zeigte die Notenverteilung meiner Mitarbeiter. Zwischen vier und sechs, dem Bereich von mittel bis sehr gut, wölbte sich die Kurve deutlich nach oben, während sie zur Null hin deutlich abfiel. Dann zog die Personalerin ein weiteres Blatt mit einer ähnlich verlaufenden Kurve hervor. Der Unterschied: Der Kurvenverlauf stieg im Notenbereich zwischen zwei und vier am stärksten an. Gegen Null und sechs zogen sich die Enden der Kurve deutlich nach unten.
    Das sei die weltweite Vorgabe bei Mitarbeiterbewertungen: Von zehn Leuten sollte mindestens einer schlecht bewertet werden. Meine Ergebnisse würden davon auffallend abweichen. Kurz gesagt: Ich würde meine Mitarbeiter zu positiv bewerten.
    Ich schüttelte den Kopf. Die HR-Verantwortliche wollte, dass ich meine Mitarbeiter schlechter mache, als sie sind. Den Sinn darin konnte ich damals nicht erkennen.
    Heute verstehe ich das System um einiges besser.
    Ein Team ohne schlechte Mitarbeiter? Das darf es nicht ­geben. Denn es gibt klare Richtwerte für Führungskräfte. ­Danach müssen etwa zehn Prozent aller Mitarbeiter per se schlecht bewertet werden. Mit diesen zehn Prozent der Belegschaft schafft man sich eine stille Reserve.
    Eine Reserve für Leistungssteigerungen, für mehr Fortbildung, für mehr interne Konkurrenz?
    Ach was, nein!
    Die Gründe sind strategischer Natur: Falls man in Krisenzeiten in die Verlegenheit kommt, Leute entlassen zu müssen, weiß die Unternehmensführung sofort, welche Mitarbeiter ins Blickfeld rücken. Dass Krisen und Entlassungen meist mit Managementfehlern zu tun haben und die zehn Prozent Mitarbeiter dafür wenig können, spielt in diesem Zusammenhang natürlich keine Rolle.
    Zehn Prozent schlecht, zehn Prozent gut, der Rest dazwischen – die Wirklichkeit wird hineingepresst in ein Zah­lenraster, das als vermeintliche Erfolgsformel gilt. Das ist Mathematik für Memmen: Wäre eine Krise mit Managementfehlern zu begründen, müssten die Bosse sich an die eigenen Nasen fassen, anstatt einfach mal eine Entlassungswelle anzuordnen. Sie müssten Farbe bekennen. Aber das ist das letzte, was Memmen tun würden.
    Ein Bewertungssystem reduziert die komplexe Beziehung zwischen Chef und Mitarbeiter auf eine einzige Zahl. Eine Zahl, die die Höhe des Gehalts nicht unwesentlich bestimmt, wenn es eine leistungsbezogene Komponente hat. Aber kann eine Note die Leistung eines Mitarbeiters gerecht abbilden?
    Hier herrscht nur scheinbar Objektivität. Die Objektivität eines digitalen Kontrollsystems, das die Realität ignoriert.
    Nichts ist so subjektiv wie die Beziehungen von Chefs zu ihren Mitarbeitern. Emotionen sind nicht messbar. Und dennoch verteilen Chefs Noten. Jeder auf seine Art.
    Ein harmoniebedürftiger Chef, ein Kuschel-Junkie, wird das Gespräch bei Kaffee und Kuchen führen, um dem Ernst und dem Zwangscharakter der Situation die Schärfe zu nehmen. Am Ende wird die Note immer gut sein. Schließlich will die Führungskraft nicht, dass der Mitarbeiter zu schlecht wegkommt und enttäuscht sein könnte. Und wird der Druck von oben zu unangenehm, dann wird der eigene

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