Mein Boss, die Memme
unmissverständlich der Wille, meine Mannschaft in einen Hochleistungsapparat zu verwandeln. Und dabei fühlte ich mich selbst für alles zuständig.
Sobald ich spürte, etwas könnte vielleicht in die falsche Richtung laufen, mischte ich mich ein. Kein Detail war mir zu klein. Das hatte seinen Preis. Bis zu 80 Stunden in der Woche war ich zwischen Mitarbeiterbetreuung, Kundenterminen und Treffen mit der Geschäftsführung unterwegs. Und darauf war ich auch noch stolz. Wenn ich etwa mit anderen Bereichsleitern darum wetteiferte, wer die meisten Meetings an einem Tag absolvierte und die meisten Nachrichten auf seiner Mailbox hatte.
Als ich an einem Freitagabend einen Workshop nach drauÃen verlegte und im Kreise meiner Mitarbeiter meine GeschäftsÂidee predigte, fiel mir nicht auf, wie es um uns herum langsam dunkel wurde. Erst der dezente Hinweis eines Kollegen machte mir klar, dass für meine Leute eigentlich schon längst das Wochenende begonnen hatte.
Ich trieb meine Mannschaft mit positiver, aber unnachgiebiger Energie vorwärts. Tatsächlich erreichten wir unter den argwöhnischen Blicken der anderen Bereiche unsere sehr ehrgeizigen Ziele. Dass ich darüber hinausschoss, merkte ich erst, als es zu spät war.
Der Zusammenbruch einer Mitarbeiterin, auch wenn es dafür andere Gründe gegeben haben mag, wurde mir angelastet. Ich musste meinen Hut nehmen. Es war, als hätte ich einen Wagen bis aufs ÃuÃerste getunt und ihn dann in hohem Tempo gegen einen Baum gesetzt.
Zwei Chefkrankheiten trafen damals in einer, nämlich meiner Person, aufeinander: Zum einen die kümmernde Kuschel-Memme, die für ihre Mitarbeiter und Kunden allzeit bereit sein will. Die sich für alles zuständig fühlt und sich dabei selbst ausbeutet. Und die dieses Opfer auch noch für selbstverständlich hält. Aus echter Leidenschaft, aber auch aus dem Wunsch heraus, von Mitarbeitern und Kunden gemocht zu werden.
Zum anderen die überehrgeizige Karriere-Memme, die sich mit durchschnittlichen Erfolgen nicht zufrieden gibt, weil sie ihr persönliches Selbstwertgefühl zu sehr an den eigenen beruflichen Erfolg koppelt. Und deshalb auch noch stolz darauf ist, wenn die eigene Mailbox überquillt.
Das Gefühl, von der Firma gebraucht zu werden, kann für Führungskräfte schnell zu einer Droge werden. Eine, die dazu führt, dass ein Chef es nicht fertig bringt, loszulassen, sondern sich in seine Aufgabe geradeÂÂzu verbeiÃt.
Alles in allem eine Mischung, deren Folgen es in sich haben.
In solch einem Fall flieht eine Führungskraft nicht vor der Aufgabe, sondern schultert sich so viel wie möglich auf, unfähig, richtig zu delegieren. Es mag Mitarbeiter im ersten Moment entlasten. Aber kein Mitarbeiter entkommt den ehrgeizigen Zielen, die jeden erfassen, der mit einem solchen Chef in Berührung kommt.
Getrieben von der eigenen Begeisterung wird der ohnehin vorhandene Druck eines zahlengetriebenen Unternehmens weiter forciert. Zwar mit einer positiven Energie, die auf gemeinschaftlichen Erfolg setzt und die Mitarbeiter würdigt und respektiert, die ihnen aber gleichzeitig alles abverlangt. Private und berufliche Leidenschaft vermischen sich bei dieser Art von Führung so sehr, dass am Ende die Balance nicht mehr stimmt. Bei mir, der Führungskraft, nicht. Aber ebenso wenig bei vielen meiner engagiertesten Mitarbeiter.
Auch das Gefüge innerhalb eines Unternehmens gerät aus der Balance, wenn die entfachte Energie die der anderen Abteilungen und Bereiche bei weitem übertrifft. Eine hochtourige Maschine innerhalb eines starren Unternehmensgebildes â hier gibt es nur ein entweder-oder. Entweder passt sich das Unternehmen dem aufstrebenden Bereich an. Oder der Bereich geht unter.
Das Opfer
Ob Ãberperformer oder Ãberforderte: Manager, die getrieben werden â sei es vom Wettbewerb, dem eigenen Vorstand oder von ihrer eigenen Sucht nach Boni und Erfolg â hinterlassen Spuren. Diese finden sich im Software-System, in dem die Ãberstunden der Mitarbeiter gebucht werden; in den Büros, in denen am späten Abend noch das Licht brennt. Und in den von Erschöpfung gezeichneten Gesichtern vieler Mitarbeiter. So wie in dieser Abteilung:
Atemnot
»Als ich nach meinem Studium die Stelle bei einem E-Business-Unternehmen bekam, ging für mich ein Traum in Erfüllung. Ich landete in einem Unternehmen,
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