Mein Boss, die Memme
ständig bis spätabends zu arbeiten. Alle anderen Mitarbeiter verabschiedeten sich schnell, kündigten oder wechselten in andere Abteilungen. Ãberstunden, die eigentlich eine Ausnahme sein sollten, wurden so zur Regel. Bei einem Unternehmen, das seinen Mitarbeitern ansonsten faire Arbeitsbedingungen bietet.
Vielleicht war die Chefin selbst auf diese Art aufgestiegen, unter Vorgesetzten, die dasselbe von ihr erwartet hatten. Und so hatte sie ihre ersten Jahre als Berufsanfängerin als einen steinigen Weg empfunden, bevor sie dann, aufgestiegen zur Bereichsleiterin, endlich den Lohn dafür einfahren konnte. Und nun erwartete sie, dass ihre Nachfolgerinnen es ihr gleichtaten.
Ãber zwei bis drei Mitarbeitergenerationen breitet sich auf diese Weise eine eigene Kultur innerhalb eines Unternehmensbereichs aus. Eine, in der Mitarbeiter von der Fülle ihrer Arbeit vor sich hergetrieben werden. Wo es keinen Damm und kein Halten gibt und nichts anderes erlaubt ist, als die beständig anbrandenden Wellen an E-Mails und Anfragen über dem eigenen Kopf zusammenbrechen zu lassen und kräftig zu rudern. Immer im Angesicht der Gefahr, irgendwann nicht mehr aufzutauchen und keine Luft mehr zu bekommen.
Dieses System funktioniert, solange sich immer wieder neue Führungskräfte wie die Job-Koordinatorin finden, die diesen Geist akzeptieren, verinnerlichen und schlieÃlich vorleben. Es sind selbstausbeuterische Memmen, die hoffen, irgendwann dafür belohnt zu werden, wenn sie es nur lange genug schaffen, den Kopf über Wasser zu halten. Und steigen sie erst selbst nach oben, dann gibt man die Qualen an die nächste Generation unter sich weiter. Jetzt soll es sich schlieÃlich für einen selbst lohnen. Aus der Mitarbeiter-Memme wird eine Chef-Memme. Und die züchtet sich Nachfolger-Memmen.
Dank der geleisteten Ãberstunden bleiben die Lohnkosten niedrig, was den Zahlen der Bereichsleiterin zugutekommt. Falls es einen Wert gibt, der in dieser Subkultur herrscht, dann wahrscheinlich nur den der persönlichen Wertabschöpfung: den eigenen Bonus.
Und so brennen eifrige Mitarbeiter, die sich zu Erfüllungsgehilfen eines solchen Systems machen, täglich übermotiviert ein Feuerwerk ab â solange, bis sie am Ende alles verbrannt haben, was an Energie in ihnen steckte.
Vollbremsung
Der im vergangenen Jahrzehnt entfachte Turbokapitalismus verbraucht eine ungeheure Menge an Energie. Unsere Energie: die von uns Mitarbeitern.
Natürlich stehen auch Vorstände unter Stress, stehen sie doch unter dem Druck der Ãffentlichkeit und vor allem der Shareholder. Diesen Druck aber geben die Vorstände schnurstracks nach unten weiter. Ohne die Folgen, die dies mit sich bringt, selbst ausbaden zu müssen. Können sie doch selbst im Falle des Scheiterns gelassen bleiben: Meist wartet auf sie eine fürstliche Entlohnung. Wie das Beispiel des Vorstands von Hewlett Packard, Leo Apotheker, 2011 wieder einmal gezeigt hat. Innerhalb eines Jahres hat er mit seinem Strategiewechsel den Börsenwert von Hewlett Packard fast halbiert. Als er gehen musste, wurde er dafür auch noch mit fast zehn MilÂlionen Dollar belohnt. Und die nächste Stelle als Geldvernichter wartet schon auf ihn.
Die Druckwellen aber, sie rasen meist noch durch das Unternehmen, wenn ihre Verursacher in der Chefetage sich längst verabschiedet haben. Als Erstes trifft diese Welle auf das mittlere Management.
Es ist eine kritische Stelle: Im Mittelbau kann eine von oben kommende Druckwelle brechen und an Kraft verlieren, bevor sie auf die Mitarbeiter trifft. Wird sie dort aber ungebremst nach unten durchgelassen oder sogar noch angeschoben, entlädt die Druckwelle ihre volle zerstörerische Wucht in den Reihen der unteren Hierarchieebenen.
Das mittlere Management steht in der Verantwortung. Von oben kommen die ehrgeizigen, nur an der Rendite orientierten Vorgaben. Nach unten aber sollen sie Menschen führen und für diese Ziele begeistern, die für alle Abteilungen vor allem eines bedeuten: eine ganze Menge Arbeit. Der Druck von oben, der Widerstand von unten. Erwartungen von allen Seiten. Nicht selten brechen auf das mittlere Management hohe Wellen von beiden Seiten ein.
Die Folge: Vor allem im mittleren Management finden sich die Kandidaten für den Absturz. Für den körperlichen und geistigen Zusammenbruch. Für den Burnout.
25 Prozent aller Führungskräfte sind dafür
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