Mein Boss, die Memme
des Aufsichtsrats sowie der zweite Vorstand.
Dass man als Kapitän an Bord zu bleiben hat, kommt den Memmen in den Chefpositionen nicht in den Sinn.
Aber warum soll ein Kapitän überhaupt an Bord eines sinkenden Schiffes bleiben und es als letzter verlassen? Als eine Art heroischen Akt der Selbstbestrafung für begangene Fehler?
Nein. Der Kapitän bleibt, weil auf dem Schiff noch Menschen sind und noch etwas zur ihrer Rettung getan werden kann.
Diesen Menschen zu helfen, ohne davon in irgendeiner Weise selbst profitieren zu können, das ist wohl die anspruchsvollste, aber auch die selbstverständlichste Aufgabe einer Führungskraft.
Ich blieb, obwohl ich in meiner kurzen Zeit als Vorstand für den Niedergang nicht verantwortlich war und all meine investierten Ersparnisse verloren waren. Ich bekämpfte den Fluchtreflex in mir, indem ich mir selbst ein neues, ehrgeiziges Ziel vorgab: meine verbleibenden Mitarbeiter ans rettende Ufer zu bringen. Und das hieà in diesem Fall: Für jeden von ihnen eine Stelle in einer anderen Firma zu finden. Denn eine Insolvenz ist keinesfalls ein Todesurteil, das sofort vollstreckt wird.
Gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter ging ich die Bücher durch, zahlte die Gläubiger aus und betreute mit meinen Mitarbeitern weiterhin die Kundenprojekte. Ich ging erst, als es nichts anderes mehr zu tun gab, als die Tür zu unseren Büroräumen als Letzter hinter mir abzuschlieÃen.
4. Fazit: Mut zum Scheitern
Anfang 2010 warf ich bei einem Besuch in den USA einen Blick in den Lokalteil einer Tageszeitung. In einem kurzen Artikel wurde die Lage indisch-stämmiger Geschäftsleute in einer Ostküsten-Stadt geschildert, die sich in den vergangenen Jahren mit kleinen Gemüse- und Tabakläden selbstständig gemacht hatten. Ein groÃer Teil von ihnen musste den eigenen Laden recht bald wieder aufgeben. Was auch immer die Gründe dafür waren, klar ist, sie sind bei ihrem ersten Anlauf gescheitert. Knapp zwei Jahre später aber wagten viele von ihnen den nächsten Anlauf. Zum Teil mit neuen Geschäftsideen.
Der Redakteur folgerte daraus, dass die indischen Gründer das erste Mal nicht Pech gehabt haben, sondern das Glück, die beste Erfahrung gemacht zu haben, die einem das Unternehmertun überhaupt schenken kann: einmal richtig zu scheitern, um beim nächsten Mal die Sache bewusster, besser anzupacken. Es sei eine Erfahrung, die jeder erfolgreiche amerikanische Unternehmer mindestens einmal mache. Das klang nicht nach Worten des Trostes, sondern nach einer Selbstverständlichkeit.
Wie wäre wohl die Reaktion auf den Neubeginn der indisch-stämmigen Macher in Deutschland ausgefallen? Ein deutscher Redakteur hätte in dem Artikel wahrscheinlich überlegt, wie wohl am besten das Risiko zu minimieren sei. Oder wie man den armen Gründern von staatlicher Seite aus helfen könne, damit sie solch eine beängstigende Erfahrung gar nicht erst machen müssten.
Was diese Geschichte mit den Folgen des Memmentums zu tun hat? Eine ganze Menge.
Was die Negativ-Beispiele in diesem Teil des Buches und alle Memmen-Bosse eint ist die Angst vor dem Scheitern.
Aus dieser Angst resultiert die groÃe Mutlosigkeit der Führungskräfte, die wir als Mitarbeiter täglich erleben und ausbaden müssen. Sie ist der Grund, warum Angreifer von auÃen unsere Teams ohne Gegenwehr überrennen können. Warum mehr Energie in die Postenverwaltung flieÃt als in neue Ideen. Warum die Arbeit in unseren Abteilungen eher der einer Notaufnahme in der Bronx gleicht als einem normalen Arbeitsumfeld. Warum Kunden oft mit uns machen können, was sie wollen. Warum ganze Firmen mit Tausenden von Mitarbeitern in der Krise von einem Tag auf den nächsten ohne Führung dastehen.
Die groÃe Mutlosigkeit lässt die Memmen-Egos zittern, gefährdet unentwegt den Unternehmenserfolg und macht Mitarbeitern den Alltag zur Hölle. Auf den Schultern viel zu vieler Chefs scheinen nicht nur Ãberstunden zu lasten, sondern vor allem die Schwere ihrer Verantwortung. Und sie drohen täglich darunter einzuknicken.
Oft habe ich den Eindruck, dass diese Verantwortungsträger genau deshalb beeindruckend viel dafür tun, sich ihrer Last zu entledigen. Chefs, die ihre Aufgaben nur verwalten, um den halbwegs befriedigenden Status Quo zu sichern. Die keine eigenen Ideen verwirklichen, sondern nur vom Druck ihrer eigenen Vorgesetzten
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