mein buch vom leben und sterben (German Edition)
weg. Aber Licht kann nicht verschwinden, es ist immer da, auch wenn der Lichtschalter aus ist. In einem anderen Zimmer jedoch scheint es hell und leuchtet.
Und so glaube ich auch, dass Udo nur in ein anderes Zimmer gegangen ist, in diesem großen Haus, das wir Leben nennen.
Von unserem Fenster aus können wir ihn nicht sehen, und trotzdem sitzt er gleich nebenan.
Der Mensch besteht nicht nur aus seinem Körper. Der Körper ist uns eine gute Hülle, eine Wohnung für die Zeit, die wir hier auf Erden verbringen.
Udos Hülle möchten wir heute nun zurückgeben. Zur Ruhe legen in der Erde, aus der sie entstand. Wir legen diese Hülle unter diesen Baum hier zur Ruhe, auf dass sie diesem Baum Energie und Kraft spenden mag und wieder eins wird mit der Natur, in der wir jetzt hier stehen.
Und wenn wir im nächsten Sommer unter diesem Baum stehen werden, und er uns Trost, Kraft, Freude oder Schatten spenden mag, so glaube ich fest daran, dass Udo dies dann für uns tut.
Ab heute sind wir nicht mehr allein. Wir haben nun Udo, der fernab von jeder menschlichen Begrenztheit uns begleitet, bei uns ist, bis auch wir dieses Haus verlassen, um in ein anderes Zimmer zu gehen, wo Udo schon mit einem Whiskey auf uns wartet und sagt: Du musst mir nicht erzählen, was noch alles geschehen ist, ich war die ganze Zeit dabei! Und so lasst uns Udo jetzt auch nicht mit einem letzten Gruß verabschieden. Aber mit einem: Danke für die schöne Zeit, mach’s gut und bis bald.«
schreib mich voll, mein baby, mein schatz!
mit dem sterben ist es wie mit einem drink: es ist immer der richtige zeitpunkt dafür
diese überschrift mag befremdlich klingen. gerade dann, wenn auf den letzten seiten die grabrede für einen freund zu lesen war, der nur knapp über 40 Jahre alt wurde und eine meiner besten freundinnen alleine zurückließ. ich weiß, dass mir bei dieser überschrift eine mutter, die ihr totgeborenes kind in den armen hält, nicht zustimmen wird, nicht zustimmen kann. und darum lass mich kurz erklären, wie ich diese worte meine:
ich erwähnte bereits meine cousine susannne. sie starb mit 30. sie fiel einfach um und war tot. ganz bescheiden und eigenwillig ist sie einfach gegangen und wurde dennoch nicht vergessen, denn heute sitze ich hier und denke an sie. jetzt, genau in diesem augenblick habe ich ein engeres verhältnis zu ihr als zu ihren lebzeiten, denn ich habe das gefühl, sie sitzt hier in tokyo direkt neben mir, blickt mir über die schulter und sagt: »ey ... du hast oben susanne mit 3 n geschrieben.«
der verlust ihrer tochter war für meine tante einfach eine unnatürliche, abartige erfahrung: das klägliche scheitern von mutter natur, die natürliche reihenfolge von geburt und sterben aufrecht zu erhalten. denn zuerst sterben ja wohl die großeltern, dann die eltern und zuletzt die kinder, die dann auch schon wieder großeltern sind. so war es immer, und so sollte es eigentlich auch sein.
doch genau das erzähl mal einer schildkröte oder einer antilopenmutter, jeglicher anderen lebensform, die in offener freiheit und wildnis lebt und überlebt.
wir sind eins mit der natur und verbunden durch naturgesetze und durch die welt, in der wir leben. und so, wie viele junge, schwache, neugeborene in der freien wildnis nicht überleben, ist es nach meiner überzeugung auch bei uns menschen. zum leben gehört das sterben einfach dazu. leben wir nicht auch in einem dschungel, der sich stadt oder zivilisation nennt?
zu dem schmerz, den eltern in einer solchen situation fühlen, kommt vielleicht für viele noch erschwerend das gefühl einer schuld hinzu, der schuld, etwas falsch gemacht zu haben,
eine gewisse verantwortung für das sterben zu tragen. soweit ich das aus meinem erlebten sagen kann, kann niemand zu früh oder zu spät sterben. wann immer es geschieht, es scheint der richtige zeitpunkt zu sein. mein vater starb mit 50, meine mutter mit 57, mein hund wurde mit 4,5 überfahren.
ich habe einmal gelesen, dass nicht die anzahl der lebensjahre zählt, sondern das, was man in diesen jahren tut bzw. getan hat.
hätte mein vater anders gelebt, wäre er dann 55 geworden? wäre der wert seines lebens dadurch größer geworden? wäre es ihm leichter gefallen, voranzugehen? wäre es mir leichter gefallen zurückzubleiben? gibt es einen »richtigen« zeitpunkt zum sterben? und wenn es den nicht gibt, wie kann es dann einen »falschen« geben?
ich glaube, meine mutter beispielsweise
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