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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Deutschen infrage gestellt. Deshalb konnten alle unsere Nachbarn und Partner sich jahrzehntelang auf die Stetigkeit der deutschen Europapolitik verlassen. Diese Kontinuität und Stetigkeit bleibt uns auch in Zukunft geboten.
     
    Konzeptionelle deutsche Beiträge waren immer selbstverständlich. Das sollte auch künftig so bleiben. Dabei sollten wir allerdings nicht der fernen Zukunft vorgreifen. Vertragsänderungen könnten ohnehin die vor zwanzig Jahren in Maastricht und später in Lissabon geschaffenen Tatsachen, die Unterlassungen und Fehler nur zum Teil korrigieren. Die heutigen Vorschläge zur Änderung des geltenden Lissaboner Vertrages erscheinen mir für die unmittelbare Zukunft als wenig hilfreich, wenn man sich nämlich an die bisherigen Schwierigkeiten mit allseitiger nationaler Ratifikation erinnert oder an die negativ ausgegangenen Volksabstimmungen.
    Ich stimme deshalb dem italienischen Staatspräsidenten Napolitano zu, wenn er Ende Oktober 2011 in einer bemerkenswerten Rede verlangt hat, dass wir uns heute auf das konzentrieren müssen, was heute notwendig zu tun ist. Und dass wir dazu die Möglichkeiten ausschöpfen müssen, die der heute geltende EU -Vertrag uns gibt – besonders zur Stärkung der Haushaltsregeln und der ökonomischen Politik im Euro-Währungsraum.
    Die gegenwärtige Krise der Handlungsfähigkeit der in Lissabon geschaffenen Organe der Europäischen Union darf nicht Jahre andauern! Mit der Ausnahme der Europäischen Zentralbank haben die Organe – das Europäische Parlament, der Europäische Rat, die Brüsseler Kommission und die vielen Ministerräte – sie alle haben seit Überwindung der akuten Bankenkrise 2008 und besonders der anschließenden Staatsverschuldungskrise nur relativ wenig an heute wirksamen Hilfen zustande gebracht.
    Für die Überwindung der heutigen Führungskrise der EU gibt es kein Patentrezept. Man wird mehrere Schritte benötigen, zum Teil gleichzeitig, zum Teil nacheinander. Man wird nicht nur Urteilskraft und Tatkraft benötigen, sondern auch Geduld. Dabei dürfen konzeptionelle deutsche Beiträge sich nicht auf Schlagworte beschränken. Sie sollten nicht auf dem Fernseh-Marktplatz, sondern stattdessen vertraulich im Rahmen der Gremien der Organe der EU vorgetragen werden. Dabei dürfen wir Deutsche weder unsere ökonomische noch unsere soziale Ordnung, weder unser föderatives System noch unsere Haushalts- und Finanzverfassung den europäischen Partnern als Vorbild oder als Maßstab vorstellen, sondern lediglich als Beispiele unter mehreren verschiedenen Möglichkeiten.
    Für das, was Deutschland heute tut oder unterlässt tragen wir alle gemeinsam die Verantwortung für die zukünftigen Wirkungen in Europa. Wir brauchen dafür europäische Vernunft. Wir brauchen aber Vernunft nicht allein, sondern ebenso ein mitfühlendes Herz gegenüber unseren Nachbarn und Partnern und das gilt ganz besonders für Griechenland.
    In einem wichtigen Punkt stimme ich mit Jürgen Habermas überein, der jüngst davon gesprochen hat, dass »… wir tatsächlich jetzt zum ersten Mal in der Geschichte der EU einen Abbau von Demokratie erleben!!«. In der Tat: Nicht nur der Europäische Rat inklusive seiner Präsidenten, ebenso die Europäische Kommission inklusive ihres Präsidenten, dazu die diversen Ministerräte und die ganze Brüsseler Bürokratie haben gemeinsam das demokratische Prinzip beiseite gedrängt! Ich bin damals, als wir die Volkswahl zum Europäischen Parlament einführten, dem Irrtum erlegen, das Parlament würde sich schon selbst Gewicht verschaffen. Tatsächlich hat es bisher auf die Bewältigung der Krise keinen erkennbaren Einfluss genommen, denn seine Beratungen und Entschlüsse bleiben bisher ohne öffentliche Wirkung.
    Deshalb wird es höchste Zeit, dass die sozialdemokratischen, christdemokratischen, sozialistischen, liberalen und grünen Kollegen sich gemeinsam, aber drastisch zu öffentlichem Gehör bringen. Wahrscheinlich eignet sich das Feld der seit der G 20 im Jahre 2008 abermals völlig unzureichend gebliebenen Aufsicht über Banken, Börsen und deren Finanzinstrumente am besten für einen solchen Aufstand des Europäischen Parlaments.
    Tatsächlich haben einige zigtausend Finanzhändler in USA und in Europa, dazu einige Ratingagenturen, die politisch verantwortlichen Regierungen in Europa zu Geiseln genommen. Es ist kaum zu erwarten, dass Barack Obama viel dagegen ausrichten wird. Das Gleiche gilt für die britische Regierung. Tatsächlich

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