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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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dieses Verbundes beitragen.
    Auch als alter Mann halte ich immer noch fest an den drei Grundwerten des Godesberger Programms der SPD : Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Dabei denke ich übrigens, dass heute die Gerechtigkeit vor allem auch Chancengleichheit für Kinder, für Schüler und für junge Leute insgesamt verlangt.
    Wenn ich zurückschaue auf das Jahr 1945 oder zurückschauen kann auf das Jahr 1933 – damals war ich gerade 14  Jahre alt geworden –, so will mir der Fortschritt, den wir bis heute erreicht haben, als fast unglaublich erscheinen. Der Fortschritt, den die Europäer seit dem Marshall-Plan 1948 , seit dem Schuman-Plan 1950 , den wir dank Lech Walesa und Solidarność, dank Václav Havel und der Charta 77 , den wir dank jener Deutschen in Leipzig und Ostberlin seit der großen Wende 1989 / 91 heute erreicht haben.
    Wenn heute der größte Teil Europas sich der Menschenrechte und des Friedens erfreut, dann hatten wir uns das weder 1918 noch 1933 noch 1945 vorstellen können. Lasst uns deshalb dafür arbeiten und kämpfen, dass die historisch einmalige Europäische Union aus ihrer gegenwärtigen Schwäche standfest und selbstbewusst hervorgeht!

Pflicht zur Solidarität ( 2012 )
    Die Krise Europas sei noch lange nicht überwunden, schrieb Helmut Schmidt zum Jahreswechsel 2012 / 13 , auch wenn viele inzwischen wieder etwas optimistischer in die Zukunft blickten. Er beklagte mangelnde Führung, das Fehlen einer strengen Bankenregulierung und auch die Mitschuld der Medien, denen das Thema Europa offensichtlich zu langweilig sei. Ohne ein stärkeres Engagement aller Bürger in Europa drohe die Strahlkraft des europäischen Modells langsam zu verblassen.
    A m Ende des Jahres meint mancher, in Europa sei das Schlimmste überstanden. Dass die Leute ein bisschen optimistischer werden, ist ganz nützlich. Aber in Wirklichkeit ist die Staatsschuldenkrise noch nicht beseitigt. Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland oder in Spanien ist ungelöst. Ein unerhörtes Versagen unserer Gesellschaften insgesamt, und das schließt die Deutschen, die Franzosen und die anderen EU -Mitglieder ein.
    Wenn überhaupt einer in diesem Jahr 2012 erfolgreich Krisenbewältigung betrieben hat, dann war es Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank. Er hat in großem Umfang Staatsanleihen gekauft – was er eigentlich nicht soll. Das ist relativ inflationsfrei geschehen. Alle deutsche Angstmacherei vor einer drohenden Inflation war überflüssig. Die Regierungen dagegen haben sich bisher der Staatsschuldenkrise nicht gewachsen gezeigt. Ein Gipfel nach dem anderen, aber immer noch keine Lösung. Frau Merkel gibt sich alle Mühe, die große Abschreibung griechischer Schulden auf die Zeit nach der Bundestagswahl zu verschieben. Vielleicht gelingt ihr das – sicher ist es nicht.
    Was fehlt, ist Führung. Aber die kann nicht von allen 27 Mitgliedern der EU -Kommission kommen. Gegen diesen Mangel an Führung sollte das Europäische Parlament aufbegehren. Es könnte sich zum Beispiel Anfang des Jahres 2013 der mittelfristigen EU -Finanzplanung verweigern. Ein solcher »Putsch« der Abgeordneten gegen die Kommission würde die Debatte über die Kompetenzen des Europäischen Parlaments mit Sicherheit voranbringen.
    Jedes der offenen Probleme in Europa ist letztlich ein Ruf nach Reform. Die gemeinsame Bankenaufsicht funktioniert noch lange nicht. Eine wirksame Regulierung der globalen Finanzmärkte gibt es nicht, trotz der grundlegenden Beschlüsse am Ende des Jahres 2008 . Es gibt sie auch nicht im Euro-Raum. Es gibt sie deshalb nicht, weil alle mitreden wollen. Es fehlen aber Personen vom Format Churchills oder de Gaulles, es fehlen Personen vom Typus Jacques Delors oder Raymond Barre. Es fehlen Leute, die nicht nur Resolutionen verfassen, sondern die das, was in den Resolutionen steht, hinterher auch tatsächlich durchsetzen. Deshalb konnten die Investmentbanker und die von ihnen bezahlten Rating-Agenturen zu Herren der Weltpolitik werden. Sie verstehen immer mehr von immer weniger – und produzieren Schrecken.
    Entscheidend ist die Rolle der Medien. Die europäischen Zeitungen berichten darüber, dass einer der 27 Kommissare die Zigarettenpackungen noch abschreckender machen möchte. Das ist eine von tausend Nachrichten, die breitgetreten werden. Immer kommen neue Meldungen aus Brüssel. Aber sie betreffen weniger die Staatsschuldenkrise, sondern vielmehr Lappalien, drittrangiges Zeug. Das Missvergnügen an

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