Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
haben zwar die Regierungen der ganzen Welt im Jahr 2008 / 2009 mit Garantien und mit dem Geld der Steuerzahler die Banken gerettet. Aber schon seit 2010 spielt diese Herde von hochintelligenten, zugleich psychose-anfälligen Finanzmanagern abermals ihr altes Spiel um Profit und Bonifikation. Ein Hazardspiel zulasten aller Nicht-Spieler, das Marion Dönhoff und ich schon in den neunziger Jahren als lebensgefährlich kritisiert haben.
Wenn sonst keiner handeln will, dann müssen die Teilnehmer der Euro-Währung gemeinsam handeln. Dazu kann der Weg über den Artikel zwanzig des geltenden EU -Vertrages von Lissabon gehen. Dort ist ausdrücklich vorgesehen, dass einzelne oder mehrere EU -Mitgliedsstaaten »… untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit begründen«. Jedenfalls sollten die an der gemeinsamen Euro-Währung beteiligten Staaten gemeinsam für den Euro-Raum durchgreifende Regulierungen ihres gemeinsamen Finanzmarktes ins Werk setzen. Von der Trennung zwischen normalen Geschäftsbanken und andererseits Investment- und Schattenbanken bis zum Verbot von Leerverkäufen von Wertpapieren auf einen zukünftigen Termin, bis zum Verbot des Handels mit Derivaten, sofern sie nicht von der offiziellen Börsenaufsicht zugelassen sind – und bis hin zur wirksamen Einschränkung der den Euro-Raum betreffenden Geschäfte der einstweilen unbeaufsichtigten Ratingagenturen.
Natürlich würde die globalisierte Bankenlobby abermals alle Hebel dagegen in Bewegung setzen. Sie hat ja schon bisher alle durchgreifenden Regulierungen erfolgreich verhindert. Sie hat für sich selbst ermöglicht, dass die Herde ihrer Händler die europäischen Regierungen in die Zwangslage gebracht haben, immer neue »Rettungsschirme« erfinden zu müssen – und sie durch »Hebel« auszuweiten. Es wird hohe Zeit, sich dagegen zu wehren. Wenn die Europäer den Mut und die Kraft zu einer durchgreifenden Finanzmarkt-Regulierung aufbringen, dann können wir auf mittlere Sicht zu einer Zone der Stabilität werden. Wenn wir aber hier versagen, dann wird das Gewicht Europas weiter abnehmen – und die Welt entwickelt sich in Richtung auf ein Duumvirat zwischen Washington und Peking.
Für die unmittelbare Zukunft des Euro-Raumes bleiben gewisslich all die bisher angekündigten und angedachten Schritte notwendig. Dazu gehören die Rettungsfonds, die Verschuldungsobergrenzen und deren Kontrolle, eine gemeinsame ökonomische und fiskalische Politik, dazu eine Reihe von jeweils nationalen steuerpolitischen, ausgabenpolitischen, sozialpolitischen und arbeitsmarktpolitischen Reformen. Aber zwangsläufig wird auch eine gemeinsame Verschuldung unvermeidbar werden. Wir Deutschen dürfen uns dem nicht national-egoistisch versagen.
Wir dürfen aber auch keineswegs für ganz Europa eine extreme Deflationspolitik propagieren. Vielmehr hat Jacques Delors recht, wenn er verlangt, mit der Gesundung der Haushalte zugleich wachstumsfördernde Projekte einzuleiten und zu finanzieren. Ohne Wachstum, ohne neue Arbeitsplätze kann kein Staat seinen Haushalt sanieren. Wer da glaubt, Europa könne durch Haushaltseinsparungen oder Steuererhöhungen allein gesund werden, der möge gefälligst die schicksalhafte Wirkung von Heinrich Brünings Deflationspolitik der Jahre 1930 / 32 studieren. Sie hat eine Depression und ein unerträgliches Ausmaß an Arbeitslosigkeit ausgelöst und sie hat damit den Untergang der ersten deutschen Demokratie eingeleitet.
Eigentlich muss man nicht so sehr den Sozialdemokraten Solidarität predigen. Denn die deutsche Sozialdemokratie ist seit anderthalb Jahrhunderten internationalistisch gesinnt gewesen – in viel höherem Maße als Generationen von Liberalen, von Konservativen oder von Deutsch-Nationalen. Wir Sozialdemokraten haben zugleich an der Freiheit und an der Würde jedes einzelnen Menschen festgehalten. Wir haben zugleich festgehalten an der repräsentativen, der parlamentarischen Demokratie. Diese Grundwerte verpflichten uns heute zur europäischen Solidarität.
Gewiss wird Europa auch im 21 . Jahrhundert aus Nationalstaaten bestehen, jeder mit seiner eigenen Sprache und mit seiner eigenen Geschichte. Deshalb wird aus Europa gewiss kein Bundesstaat werden. Aber die Europäische Union darf auch nicht zu einem bloßen Staatenbund verkommen. Die Europäische Union muss ein dynamisch sich entwickelnder Verbund bleiben. Es gibt dafür in der ganzen Menschheitsgeschichte kein Beispiel. Wir Sozialdemokraten müssen zur schrittweisen Entfaltung
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