Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
anfängliche Widerstand zum Beispiel Margaret Thatchers oder Mitterrands oder Andreottis 1989 / 90 gegen eine Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten war eindeutig begründet in der Besorgnis vor einem allzu starken Deutschland im Zentrum dieses kleinen europäischen Kontinents.
De Gaulle und Pompidou haben in den sechziger und frühen siebziger Jahren die europäische Integration fortgesetzt, um Deutschland einzubinden – nicht aber wollten sie auch ihren eigenen Staat auf Gedeih und Verderb einbinden. Danach hat das gute Verständnis zwischen Giscard d’Estaing und mir zu einer Periode französisch-deutscher Kooperation und zur Fortsetzung der europäischen Integration geführt, eine Periode, die nach dem Frühjahr 1990 zwischen Mitterrand und Kohl erfolgreich fortgesetzt worden ist. Zugleich ist seit 1950 / 52 die europäische Gemeinschaft bis 1991 schrittweise von sechs auf zwölf Mitgliedsstaaten gewachsen.
Dank der weitgehenden Vorarbeit durch Jacques Delors, damals Präsident der Europäischen Kommission, haben Mitterrand und Kohl 1991 in Maastricht die gemeinsame Euro-Währung ins Leben gerufen, die dann zehn Jahre später im Jahre 2001 greifbar geworden ist. Zugrunde lag abermals die französische Besorgnis vor einem übermächtigen Deutschland – genauer gesagt: vor einer übermächtigen D-Mark und dem damit verbundenen politischen Gewicht.
Inzwischen ist der Euro zur zweitwichtigsten Währung der Weltwirtschaft geworden. Diese europäische Währung ist nach innen wie auch im Außenverhältnis bisher stabiler als der amerikanische Dollar – und sie ist in den zehn Jahren ihrer Existenz stabiler, als die D-Mark in ihren letzten zehn Jahren gewesen ist. Alles Gerede und Geschreibe über eine angebliche »Krise des Euro« ist in Wahrheit leichtfertiges Geschwätz von Medien, von Journalisten und von Politikern.
Seit Maastricht 1991 / 92 hat sich aber die Welt gewaltig verändert. Wir haben die Befreiung der Nationen im Osten Europas und die Implosion der Sowjetunion erlebt. Wir erleben den phänomenalen Aufstieg Chinas, Indiens, Brasiliens und anderer sogenannter »Schwellenländer«, die man früher pauschal »Dritte Welt« genannt hat. Gleichzeitig haben sich die tatsächlichen Volkswirtschaften und damit große Teile der Welt »globalisiert«, auf Deutsch: Fast alle Staaten der Welt hängen heute wirtschaftlich von einander ab. Vor allem haben die Akteure auf den globalisierten Finanzmärkten sich eine einstweilen ganz unkontrollierte Macht angeeignet. Man kann auch sagen: Die Politiker haben zugelassen, dass andere sich die Macht angeeignet haben.
Aber zugleich – und fast unbemerkt – hat sich die Menschheit explosionsartig auf sieben Milliarden Menschen vermehrt. Als ich geboren wurde, waren es gerade mal zwei Milliarden gewesen. Alle diese enormen Veränderungen haben gewaltige Auswirkungen auf die Völker Europas, auf ihre Staaten und auf ihren Wohlstand.
Auf der anderen Seite überaltern alle europäischen Nationen – und schrumpfen nach der Zahl ihrer Bürger. Der ganze Rest der Welt ist explodiert, aber die Europäer überaltern und schrumpfen. In der Mitte dieses 21 . Jahrhunderts werden vermutlich sogar neun Milliarden Menschen auf der Welt leben, während dann die europäischen Nationen zusammen nur noch ganze sieben Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Sieben Prozent von neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 ! Bis an das Jahr 1950 waren die Europäer über zwei Jahrhunderte lang über zwanzig Prozent der Weltbevölkerung gewesen und sie haben die Welt regiert. Aber seit fünfzig Jahren schrumpfen wir Europäer – nicht nur in absoluten Zahlen, sondern vor allem schrumpfen wir in Relation zu Asien, zu Afrika und Lateinamerika. Ebenso schrumpft der Anteil der Europäer am globalen Sozialprodukt oder anders gesagt: Unser Anteil an der Wertschöpfung und der ganzen Menschheit schrumpft und schrumpft und schrumpft. Er wird bis 2050 auf etwa zehn Prozent der Wertschöpfung absinken; 1950 hatte er noch bei dreißig Prozent gelegen.
Jede einzelne der europäischen Nationen wird 2050 , und das ist keine vierzig Jahre mehr weg von heute, nur noch einen Bruchteil von einem Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Das heißt: Wenn wir die Hoffnung haben wollen, dass wir Europäer eine Bedeutung für die Welt haben, dann können wir das nur gemeinsam. Denn als einzelne Staaten – ob Frankreich, Italien, Deutschland oder ob Polen, Holland oder Dänemark oder Griechenland –
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