Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
neue hinzuwachsen können, die jetzt noch nicht dazugehören, Großbritannien zum Beispiel.
Warum geschehen diese Dinge? Warum ist das europäische Klima so, wie es ist?
Drängt sich nicht die Frage auf: Wie kommt es, dass trotz erfolgreicher Erweiterung der Gemeinschaft um drei neue Mitgliedsstaaten und trotz weitreichender Beschlüsse über den Ausbau der Gemeinschaft die Situation so problemgeladen ist? Haben wir vielleicht die Ziele zu schnell anvisiert?
Nach meiner Auffassung – und das möchte ich gerade hier in Großbritannien deutlich sagen – hat der Beitritt dreier neuer Mitgliedsstaaten nicht zu einer wesentlichen Kumulierung der Probleme beigetragen. Es sind auch keine grundsätzlich neuen Probleme hinzugekommen. In Brüssel hat sich keinerlei Konfrontation zwischen Altmitgliedern und Neumitgliedern ergeben. Die Fronten bilden sich vielmehr je nach nationaler Interessenlage völlig heterogen.
Es gibt allerdings auch etwas Homogenes in Brüssel. Ich denke da nicht nur an die Gehälter der europäischen Beamten oder an den Stil der Verhandlungen. Als Vertreter eines der alten Gemeinschaftsländer kann ich nur mit Staunen feststellen, dass sich die Vertreter der neuen Mitgliedsstaaten sehr schnell an die Brüsseler Methoden angepasst haben. Die von mir persönlich erhoffte fermentierende Wirkung auf den äußeren Ablauf der Ratstagungen ist ausgeblieben. Die Ratsdebatten sind nicht straffer und die Nachtsitzungen nicht weniger geworden.
Wenn es also nicht der Beitritt neuer Mitglieder ist, der uns die jetzt anstehenden Probleme aufgeladen hat, so kann es logischerweise nur das andere Element sein. Vielleicht wollen wir wirklich alles zu schnell erreichen, wenn wir an die Sisyphus-Arbeit denken, die wir zur Lösung der Probleme leisten müssen.
Man muss bis zum Jahre 1971 zurückgehen, um zu verstehen, was bei der Weiterentwicklung zur Wirtschafts- und Währungsunion die entscheidende Rolle spielt. Damals hat der Rat den grundlegenden Beschluss gefasst, die Wirtschafts- und Währungsunion stufenweise zu entwickeln. Zugleich hat er die ersten Schritte auf diesem Weg festgelegt.
Damals war man sich darin einig, dass bis zum Ende der ersten Stufe Klarheit über die Endstufe der Union bestehen sollte. Das heißt also: Ehe man den Integrationsprozess über die erste Stufe hinaus intensivieren würde, wollte man wissen, wohin die Reise geht.
Bereits auf der Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 in Paris hat man jedoch erkannt, dass diese Forderung zu hoch angesetzt war. Die Festlegung des Inhaltes der Endstufe wurde auf das Jahr 1976 verschoben.
In der Zwischenzeit wurde zwar eine sogenannte zweite Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion vereinbart – allerdings noch nicht formell verabschiedet –, um Versäumnisse der ersten Stufe nachzuholen. Ein klar umrissenes, von allen akzeptiertes Endkonzept liegt jedoch nicht vor. Aber erst damit würde es den Ratsmitgliedern erleichtert, über die verständliche Vertretung nationaler Interessen hinaus eine am gemeinsamen Endziel orientierte echte Gemeinschaftspolitik zu betreiben.
Aus dieser Konstellation heraus ist wohl auch die Diskussion zu sehen, die morgen ( 30 . Januar 1974 ) im Rat fortgesetzt wird. Ich meine den Regionalfonds, und ich will ohne Scheu versuchen, den Standpunkt der deutschen Bundesregierung verständlich zu machen. Dass wir morgen auf dem gemeinsamen Weg gute Fortschritte erzielen, bleibt meine aufrichtige Hoffnung.
Nach den Ratsbeschlüssen von 1971 , die vom Gipfeltreffen in Paris im Oktober 1972 ausdrücklich bekräftigt worden sind, war der Beginn der gemeinschaftlichen Regionalpolitik für die zweite Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion vorgesehen. Damit war allerdings damals eine zweite Stufe gemeint, in der bereits Klarheit über den Endzustand herrschen sollte. Die gemeinschaftliche Regionalpolitik sollte die regionalen Ungleichgewichte mildern.
Nun aber ist das Endziel nicht definiert. Die sogenannte »Zweite Stufe«, die heute im Gespräch ist, hat mit jener zweiten Stufe wenig zu tun, wie sie im Oktober 1972 in Paris angestrebt worden war. Heute besteht stattdessen lediglich eine mehr oder weniger halbherzige Übereinstimmung zu bestimmten Koordinierungen der Konjunkturpolitik. Der Währungsverbund ist nicht, wie erstrebt, größer, sondern kleiner geworden. Deshalb ist nach deutscher Auffassung die gemeinschaftliche Regionalpolitik zu diesem Zeitpunkt ein integrationspolitischer Vorgriff. Trotzdem sind wir
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