Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
die sowohl die deutsche als auch die französische Regierung ihrem gegenseitigen Verhältnis unverändert beimessen, kommt schon darin zum Ausdruck, dass unser Gespräch sowohl für den französischen Staatspräsidenten als auch für mich jeweils die erste Begegnung seit Amtsantritt mit dem Regierungschef eines anderen Landes gewesen ist. Die Begegnung war Ausdruck und Ausfluss des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages. Auch aufgrund unserer harmonischen Zusammenarbeit in unseren früheren Verantwortungsbereichen in Paris und Bonn sind unsere Gespräche in einer sehr herzlichen Atmosphäre verlaufen.
Ich freue mich, Ihnen sagen zu können, dass das Treffen mit Präsident Giscard d’Estaing eine sehr breite Übereinstimmung der Ansichten zu den europäischen Problemen ergeben hat. Insbesondere möchte ich die folgenden Punkte hervorheben:
1 . Der französische Staatspräsident und ich waren vollkommen einer Meinung darüber, dass es in erster Linie notwendig ist, den vollen Bestand der Gemeinschaft zu erhalten und den gegenwärtigen Prozess der Schwächung der Gemeinschaft einzudämmen. Die Lösung der ökonomischen Schwierigkeiten, denen sich einzelne Länder gegenübersehen, darf nach gemeinsamer Auffassung der deutschen und der französischen Seite nicht zu Lasten von Buchstaben und Geist der Regeln der Europäischen Gemeinschaft gesucht werden.
2 . Auch nach Auffassung der französischen Regierung kommt der Rückkehr zur internen Stabilität der Volkswirtschaften absolute Priorität zu. Nur so können die Mitgliedsländer der Gemeinschaft das verlorene Gleichgewicht insgesamt wiederherstellen. Ein Rückgriff auf protektionistische Maßnahmen kann nicht zu einer dauerhaften Gesundung führen. Ein solcher Rückgriff wird daher auch weder von der französischen Regierung noch von uns geplant.
3 . Wir haben die Pflicht zur Solidarität zwischen den Ländern der Gemeinschaft bekräftigt; sie kann auch gegenseitige Hilfen rechtfertigen. Wir waren uns aber auch über die Voraussetzungen solcher Eventualmaßnahmen einig. Sie müssen nämlich der Achtung der Gemeinschaftsregeln untergeordnet sein, und sie hängen von den eigenen Anstrengungen des betroffenen Landes zur schnellen Besserung seiner schwierigen Situation ab.
4 . Nach dem Willen der deutschen und der französischen Regierung soll die Gemeinschaft ihre Eigenständigkeit und ihren Zusammenhalt deutlich zeigen. Dies soll einmal durch die Rückkehr zu einer befriedigenden Anwendung der Gemeinschaftsregeln in den innergemeinschaftlichen Beziehungen geschehen. Aber die Gemeinschaft muss ihren Zusammenhalt darüber hinaus auch durch gemeinsame Positionen zu den großen monetären, wirtschaftlichen und weltpolitischen Fragen bekräftigen.
5 . Beide Regierungen verfolgen als eines ihrer Grundziele den Bau Europas. Sie sehen darin ein Unterpfand des Friedens und des Wohlergehens der Welt insgesamt.
6 . Schließlich waren wir auch darin einig, dass die praktische Arbeit der europäischen Institutionen gerade angesichts der besonderen Herausforderung durch die gegenwärtig schwierige Lage effizienter werden muss. Dieser Verbesserung des Funktionierens und der Wirksamkeit der Gemeinschaftsprozesse müssen sich die Länder der Gemeinschaft annehmen. Ein gewisser Anfang hierfür ist auf der Tagung der Ministerräte am 4 . Juni in Luxemburg gemacht worden.
Im Anschluss an unser Gespräch sind sowohl von französischer als auch von deutscher Seite unsere EG -Partner auf dem normalen diplomatischen Weg über das Ergebnis unterrichtet worden, womit wir von vornherein Spekulationen über eine besondere deutsch-französische sogenannte »Achse« entgegenwirken wollten, wie sie unzutreffenderweise an einigen Stellen hier oder dort in Zeitungen aufgetaucht waren. Ich wiederhole: Es gibt für diesen freundschaftlichen Dialog zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland keine andere Basis als den Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit aus dem Jahre 1963 .
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Kabinett kam bei seiner gestrigen Erörterung und Bewertung der Pariser Ergebnisse zu einem sehr positiven Eindruck. Es unterliegt für uns keinem Zweifel, dass die französische Regierung wie wir selbst alles daransetzen wird, den Bestand der Europäischen Gemeinschaft zu erhalten und zu sichern. Auf einer gesicherten Grundlage strebt sie weiteren Fortschritt an.
Für uns alle ist im Augenblick besonders bedeutsam, dass die
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