Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
bereit, eine regionalpolitische Vorleistung zu erbringen, weil wir glauben, dass dadurch der künftige Integrationsprozess erleichtert wird.
Wir verweisen allerdings darauf, dass nie daran gedacht worden war, der Gemeinschaft die ausschließliche Zuständigkeit für die Regionalpolitik einzuräumen. Vorgesehen war und ist vielmehr eine Unterstützung der nationalen Anstrengungen aus dem Regionalfonds. Diese Haltung verträgt sich schlecht mit dem Vorschlag der Kommission, wonach 52 Prozent der Gemeinschaftsfläche, auf der 32 Prozent der Menschen leben, förderungswürdig sein sollen. Angesichts einer solchen Ausdehnung der Förderfläche kann die Höhe des geforderten Betrages für den Regionalfonds nicht erstaunen.
Auch unter Berücksichtigung der knappen Ressourcen, die zur Verfügung stehen, sollte es deshalb zu einer Konzentrierung der Förderfläche kommen. Man braucht als Auswahlkriterium für die Fördergebiete nur ein Bruttosozialprodukt pro Kopf anzusetzen, das zehn Prozent unter dem Gemeinschaftsdurchschnitt liegt. Schon dadurch wird die von der Kommission konstruierte Gießkanne vermieden. Es macht nicht gerade überzeugenden Sinn, alle Gebiete in die Förderung einzubeziehen, in denen das Bruttosozialprodukt pro Kopf unter dem Durchschnitt der Gemeinschaft liegt. Hier zeigt sich ein regionalpolitisches Pauschaldenken, das weder den Erkenntnissen der Wissenschaft noch den wirklichen Notwendigkeiten entspricht.
Notwendig ist, dem Fonds eine solche Größe zu geben, dass er bei schweren regionalen Ungleichgewichten – vor allem in Süditalien, in Irland und in Teilen des Vereinigten Königreiches – echte subsidiäre Entwicklungsarbeit leisten kann. Ein solches Vorgehen erscheint mir alles andere als unkommunitär – wie in Brüssel jemand behauptet hat. Ich behaupte auch, dass diese Argumente nicht der Mentalität des eifersüchtig auf seinem Geldsack hockenden Finanzministers entspringen; sie haben ihre Logik in sich selbst. In diesem Zusammenhang will ich das, was ich eben unter dem Stichwort »integrationspolitische Vorleistung« gesagt habe, noch etwas verdeutlichen. Beim unterschiedlichen Entwicklungsstand der einzelnen Länder, bei ihrer unterschiedlichen Wirtschaftskraft sollte Gemeinschaftspolitik wesentlich auch auf die Herstellung größerer Gleichheit der Lebensbedingungen gerichtet sein. Finanziell gesehen ist mit diesem Integrationsprozess nach allen Erfahrungen ein enormer zwischenstaatlicher Finanztransfer verbunden. Das heißt: die einen geben ab, die anderen erhalten, netto und per saldo. Aber langfristig gewinnen alle. Das ist gerecht, wenn man Gemeinschaft hat und will.
Aber wir können nicht so tun, als hätten wir in Europa bereits einen Grad an Integration oder Gemeinschaftswillen erreicht, wie etwa zwischen den Departements in Frankreich oder den föderativen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Da erfolgt ein Ausgleich der Leistungskraft im Rahmen einer einheitlichen politischen Struktur. Für uns muss deshalb ein allgemeiner europäischer Finanztransfer – und Regionalpolitik ist gewiss ein Teil davon – mit Fortschritten in der Gesamtpolitik verbunden sein.
Man kann nicht von der Notwendigkeit einer integrierten europäischen Gesamtpolitik sprechen, ohne von Währungs- und Wirtschafts- und Konjunkturpolitik zu reden und von der Hoffnung, die Wirtschaftsgemeinschaft könne auch eine Stabilitätsgemeinschaft sein. In allem Freimut: wir sind da nicht erfolgreich. Sowohl bei den Zielen wie bei den Instrumenten steuern wir unterschiedliche Kurse – meist weil die unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Ländern dazu zwingen, aber oft auch, weil wir die Dinge politisch anders bewerten und zu wenig an das Gemeinschaftsinteresse denken.
Wie die jüngste Vergangenheit zeigt, können einige Mitgliedsstaaten vorrangig zum Beispiel um Preisstabilität bemüht sein, während andere ihre Anstrengungen auf die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit richten.
Unterschiedliche Auffassungen in der Wirtschaftsordnungspolitik treten erschwerend hinzu. Überspitzt kann man sagen: Wo man in dem einen Land Wirtschaftspolitik mit Verwaltungsakten macht, vertraut man im anderen mehr auf marktwirtschaftliche Kräfte. Das schlägt sich nieder in einer unterschiedlichen Ausgestaltung des konjunkturpolitischen Instrumentariums. Preis- und Lohnstopps oder eine Maßnahme wie die Spaltung des Devisenmarktes zum Beispiel sind im Instrumentenkasten der Bundesrepublik nicht vorgesehen.
Geld-
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