Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
noch viele Jahre gedient. Ich begrüße es, dass die interessierte deutsche Öffentlichkeit gerade zu einem Zeitpunkt mit seinem exemplarischen Leben und Wirken bekannt gemacht wird, in dem die Europapolitik – wegen der Weltwirtschaftskrise – in eine schwierige Phase geraten ist. Monnets Beharrlichkeit muss alle ermutigen, die von der Notwendigkeit einer politischen Einigung Europas überzeugt sind. Seine Vision ist als Fernziel auch heute gültig. Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass jetzt leider nicht die Zeit für europapolitische Höhenflüge ist, deren kometenhafte Bahnen oft in Monnets Memoiren aufleuchten. Wir müssen uns vielmehr darüber im klaren sein, dass wir uns dem hochgesteckten Ziel nicht in großen Integrationssprüngen nähern können, sondern in hartem Bemühen der zähen Wirklichkeit Fortschritte abringen müssen. Die Enttäuschung, die sich darüber hier oder dort bemerkbar macht, ist zweifellos auch darauf zurückzuführen, dass der Gemeinschaft bisweilen mehr zugetraut wird, als sie in ihrem bisher erreichten Integrationsstand zu leisten vermag.
Über dieser Feststellung dürfen wir die beträchtlichen wirtschaftlichen und politischen Errungenschaften nicht aus dem Auge verlieren, welche die Europäische Gemeinschaft bisher schon erbracht hat. Es besteht, glaube ich, die Gefahr, dass sie in der Öffentlichkeit unterbewertet werden, weil sich viele Menschen schon so an sie gewöhnt haben, dass sie diese Errungenschaften für selbstverständlich halten. Bereits heute ist die wirtschaftliche und politische Integration der Mitgliedsstaaten so eng geworden, dass ein Krieg zwischen den Staaten Westeuropas nicht nur undenkbar ist, sondern sogar technisch unmöglich wäre. Wenn man bedenkt, dass die beiden Weltkriege von Westeuropa ausgegangen sind, so bedeutet der heute erreichte Zustand einen enormen, gar nicht zu überschätzenden Fortschritt.
Die Bemühung um Koordinierung der Außenpolitik der Mitgliedsstaaten im Rahmen der sogenannten »Europäischen Politischen Zusammenarbeit« ist gut vorangekommen. Wir sind dem Ziel, Europa nach außen mit einer Stimme sprechen zu lassen, näher gelangt, auch wenn hier noch viel zu tun bleibt.
Selbstverständlich streben wir neben der großen Aufgabe einer Erweiterung der Gemeinschaft auch weitere Integrationsfortschritte an. Sie sind umso notwendiger, als sich in den letzten Jahren – nämlich unter dem Druck der 1974 einsetzenden Weltwirtschaftskrise – die ökonomischen Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten zeitweise verschärft haben. Die wirtschaftliche Entwicklung ist nicht immer in dem wünschenswerten Gleichklang erfolgt, sondern leider zu oft in verschiedenen Geschwindigkeiten. Europa ist aber nur handlungsfähig, wenn eine enge Abstimmung der ökonomischen Politik und der wirtschaftlichen Entwicklung der Mitgliedsstaaten gelingt.
Wir Deutschen sind uns dabei der Pflicht zur Solidarität bewusst und deswegen auch bereit, weiterhin Opfer zugunsten der Gemeinschaft zu bringen. Allerdings müssen wir überzeugt bleiben können, dass solche Anstrengungen auch wirklich der Festigung und Integration der Gemeinschaft zugute kommen.
Unsere politische Mitarbeit in der Gemeinschaft wird durch eine sehr intensive bilaterale Zusammenarbeit mit den einzelnen Mitgliedsstaaten ergänzt. Ob diese denn überhaupt noch nötig sei, wird man manchmal gefragt. Diese Frage möchte ich bejahen: Einerseits dienen die bilateralen Gespräche ja nicht zuletzt der Mobilisierung der Antriebskräfte der europäischen Einigung; andererseits bilden sie die Voraussetzung für eine weitere Entfaltung der Europäischen Gemeinschaft. Das gilt besonders für die vertraglich vereinbarten, regelmäßigen Treffen der französischen und der deutschen Regierung, aber auch für unsere inzwischen zum festen Brauch gewordenen regelmäßigen Konsultationen mit Großbritannien und Italien. Es gilt ebenso für die regelmäßigen Konsultationen zwischen Frankreich und Großbritannien.
Natürlich ist es unser Bestreben, die Europäische Gemeinschaft auch im gesellschaftlichen und politischen Bewusstsein der Bürger Europas stärker zu verankern. Dazu ist es vor allem notwendig, das demokratische Defizit der Gemeinschaft möglichst bald zu überwinden.
Im übrigen kommt es aber im derzeitigen Entwicklungsstadium der EG keineswegs nur auf zusätzliche institutionelle Integrationsmechanismen an. Entscheidend ist vielmehr, dass von den vorhandenen Mechanismen entschlossener
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