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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Mittelpunkt der von ihm eingeleiteten europäischen Einigungsbestrebungen stand. Der Autor selbst reflektiert über dieses Paradoxon, indem er an den 1940 zur Verhinderung eines deutsch-französischen Waffenstillstands gemachten Vorschlag einer Union zwischen Großbritannien und Frankreich erinnert und klarmacht, er habe sich damals freilich nicht vorstellen können, dass ein Versuch in solcher Richtung eher mit dem einstigen Feind als mit dem Alliierten beginnen würde, wie es dann 1950 zwischen Frankreich und Deutschland geschah.
    Wie viel Unvoreingenommenheit gehörte dazu, das Rezept einer versuchten, aber nicht zustande gekommenen Zusammenarbeit mit einem Bundesgenossen als Impuls zu einer Aussöhnung mit dem Feind von gestern zu verwenden! Monnet fiel es nie schwer, über den engen nationalen Blickwinkel hinauszusehen. Im Zweiten Weltkrieg erhielt er von den beiden Regierungschefs Daladier und Chamberlain die Anweisung, als Leiter des britisch-französischen Koordinierungskomitees »sich auf einen alliierten Standpunkt und nicht auf einen nationalen zu stellen«. Dazu bemerkt er in seinen Memoiren: »Ersetzt man ›alliiert‹ durch ›gemeinschaftlich‹, so könnte man nicht besser die Rolle definieren, die eines Tages der Präsident der Hohen Behörde (Montanunion) innehaben wird, und dies ist ohne Zweifel nicht nur ein Zufall.«
    Zwischen den beiden Weltkriegen wurde der allen neuen Versuchen zu einer Verbesserung der internationalen Beziehungen aufgeschlossene Franzose erster stellvertretender Generalsekretär des eben gegründeten Völkerbundes. Darauf folgten Jahre in der internationalen Hochfinanz, die ihn als Bankier nach Polen, San Francisco, Shanghai und New York führten.
    Die Hauptsorge, die Monnet während des Zweiten Weltkrieges bedrückte, war die Gefahr einer Rückkehr zum Nationalismus. »Es wird keinen Frieden geben«, schrieb er in einem Memorandum für das in Algier konstituierte französische Nationale Komitee, »wenn die Staaten auf der Basis nationaler Souveränität wiederhergestellt werden, mit all dem, was eine Politik des Prestiges und der wirtschaftlichen Protektion mit sich bringt«. Anschließend warnte er vor einer Diskriminierung Deutschlands: »Wir haben mit diesem diskriminierenden Vorgehen 1919 Erfahrungen gesammelt, und wir kennen die Konsequenzen.« Dass sich Monnet zu einem Zeitpunkt, in dem der Krieg gerade sein Crescendo erreichte, auf diese Weise äußerte, spricht für seinen Mut und seinen Weitblick.
    Im Jahre 1950 erteilte sich Jean Monnet, der inzwischen die Leitung der gleichfalls von ihm ersonnenen »Modernisierungskommission« der französischen Wirtschaft übernommen hatte, wieder einmal selber einen Auftrag. Er war der Ansicht, dass die Zeit für einen ersten Schritt zur Einigung Europas gekommen sei, die sich um den Kern einer deutsch-französischen Zusammenarbeit entwickeln müsste. Wie es seine Art war, setzte er sich mit ein paar vertrauten Mitarbeitern zusammen, um allgemeine Ideen zu einem Plan zu verdichten. Dass er sich dabei auf die Internationalisierung von Kohle und Stahl beschränkte, war auf die »doppelte Macht« zurückzuführen, die seiner Ansicht nach die beiden Grundstoffe symbolisierten. Sie waren sowohl »der Schlüssel für wirtschaftliche Macht wie auch für das Arsenal, in dem die Waffen für den Krieg geschmiedet werden«. Obgleich die Montanunion ein wirtschaftliches Projekt war, hatte sie doch auch eine klare politische Perspektive; darauf wies Monnet in seinem Vorschlag an die französische Regierung ausdrücklich hin. Es sei der Zweck seines Planes, »in die Wälle der nationalen Souveränität eine Bresche zu schlagen, die so begrenzt ist, dass sie die Zustimmung erlangen kann, aber tief genug, um die Staaten zu der für den Frieden notwendigen Einheit zu bewegen«. Dieser Satz ist bezeichnend für Monnets pragmatische Einstellung. Er ließ sich nie von seinem europäischen Enthusiasmus zu unrealistischen Vorschlägen verleiten, die politisch nicht durchsetzbar gewesen wären. Außenminister Robert Schuman nahm das Memorandum mit ins Wochenende und erklärte nach seiner Rückkehr nach Paris: »Ich hab das Projekt gelesen, ich mache mit.« So wurde der Schumanplan geboren.
    Die französische Regierung beauftragte Monnet mit der Leitung der Verhandlungen über die Verwirklichung des Schumanplans. In dieser Rolle bereitete ihm das vom Koreakrieg ausgelöste Drängen der Amerikaner auf eine Bewaffnung der Bundesrepublik Deutschland

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