Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
ausschließen. Hier werden nun europäische Sicherheitsinteressen, strategische Interessen unmittelbar berührt. Insbesondere werden auch deutsche, holländische usw. Besorgnisse noch zunehmen, sofern es zum Beispiel militärstrategisch dabei bliebe, dass das deutsche Territorium nicht nur als das zentrale Gefechtsfeld angesehen wird, sondern sich auch das Schicksal Deutschlands und des westlichen Teils Mitteleuropas in zunehmendem Maße als abhängig von Entscheidungen darstellt, die zwischen Moskau und Washington fallen, und sofern es dabei bliebe, dass durch die offizielle Militärstrategie eines relativ frühen westlichen Erstgebrauchs von nuklearen Waffen – early first use – dem deutschen Volke die Vorstellung zunehmend bewusst wird, es habe nur zu wählen zwischen entweder dem Verzicht auf wirksame Verteidigung oder der nuklearen Zerstörung des eigenen Landes.
Deshalb hatte Präsident Mitterrand recht, als er vor vier Wochen in Straßburg sagte: Die Zeit ist allmählich vorbei, da Europa nur dazu bestimmt war, von anderen geteilt und zerschnitten zu werden, da er – ich zitiere wörtlich – von der »notwendigen Pflege jener zerbrechlichen Bindungen« sprach, die den Dialog zwischen dem Osten und dem Westen Europas aufrechterhält, und da er ganz offen von der Notwendigkeit gemeinsamer Verteidigung sprach, ohne die bei der gemeinsamen Verteidigung der Europäer noch zu überwindenden Schwierigkeiten zu verschweigen.
Europa ist immer noch kein eigenständiger Pfeiler der Allianz geworden, den Präsident Kennedy einst gewollt hat. Europa verfügt auch auf dem Felde der Sicherheit nicht über ein für seine eigenen Interessen ausreichendes Gewicht innerhalb unseres Bündnisses mit den Vereinigten Staaten und mit Kanada. Man kann die wirtschaftliche und die strategische Situation Europas, die ich skizziert habe, durchaus so zusammenfassen, wie das vor ein paar Tagen Flora Lewis in der »Herald Tribune« getan hat. Ich zitiere: »Europa hat keine Kraft mehr.« »Europe has run out of steam«, hat sie geschrieben. Weiter heißt es: »Die Paralyse Europas könnte Washington in Versuchung führen, allein zu handeln.« Natürlich widerrät diese Kolumnistin, einer solchen Versuchung nachzugeben, das ist klar.
Man kann, wenn man etwas weniger dramatisch formulieren will, zitieren, was vor vier Wochen Bundespräsident Carstens und König Juan Carlos in Aachen nacheinander gesagt haben. Der Erstere sagte: »Das Bild von der Europäischen Gemeinschaft hat Risse, die Gemeinschaft befindet sich in einer Krise.« Der spanische König fügte hinzu: »Müdigkeit, Mutlosigkeit und Skepsis haben sich breitgemacht.« So ist es in der Tat. So ist es am allerdeutlichsten übrigens in England. Mit Ausnahme der sozialdemokratisch-liberalen Allianz ist im übrigen für große Teile der politischen Kräfte Englands nach wie vor der Kanal breiter als der Atlantik.
Dies hat sich seit dem Beitritt Großbritanniens immer wieder gezeigt. Davon muss wohl leider auch für den Rest der achtziger Jahre ausgegangen werden. Ich fürchte, dass konkrete Integrationsfortschritte entweder am Beharrungsvermögen Englands scheitern könnten oder aber dass sie nur unter anfänglicher Nicht-Beteiligung Englands stattfinden, wie das zum Beispiel beim Europäischen Währungssystem schon einmal geschehen ist.
In dieser Lage Europas muss man bei Robert Schuman und bei Jean Monnet, bei Adenauer und de Gaulle wieder anknüpfen. So wie die Begründung der europäischen Integration historisch nur durch die französische Initiative zum Schumanplan möglich war, so wie alle Fortschritte seit der Messina-Konferenz Mitte der fünfziger Jahre nur durch enges Zusammenwirken von Paris und Bonn zustande gebracht werden konnten, so bedarf die Eigenständigkeit Europas, von der in Paris heute so viel die Rede ist, heute erneut französischer Initiative und sodann französisch-deutschen Zusammenwirkens.
Die Straßburger Rede des Staatspräsidenten vom 24 . Mai bietet hierfür fruchtbare Ausgangspunkte. Das gilt zum Beispiel für die Vorschläge hinsichtlich der Elektronik des Weltraumes, des Verkehrswesens, der Kultur, aber ich will auch hinzufügen: Für die Funktionstüchtigkeit der Europäischen Gemeinschaft ist besonders dringlich die endliche Herstellung des gemeinsamen Binnenmarktes und der Ausbau des Europäischen Währungssystems einschließlich des Ausbaus des ECU zu einer internationalen Reservewährung.
Der Bundeskanzler empfindet sich als ein
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