Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
politischer Enkel von Konrad Adenauer. Wenn dem so ist, so sollte er den gleichen Weitblick aufbringen wie jener und entschlossen auf alle Vorschläge Mitterrands, die in Straßburg gemacht wurden, zugehen. Ich spreche zunächst von einer gemeinsamen deutsch-französischen wirtschaftspolitischen Initiative.
Sie sollte als erstes Kapitel einen positiven Aktionsplan für die Herstellung eines wirklichen gemeinsamen Binnenmarktes für alle Mitgliedsländer plus der beiden enthalten, die ab 1 . Januar 1986 dazukommen.
Sie sollte im zweiten Kapitel die zweite Stufe des Europäischen Währungssystems herstellen. Hier muss nun unsere Bundesbank endlich ihren Widerstand aufgeben, der sie bisher nach dem Motto handeln ließ, der Starke sei am mächtigsten allein. Wir haben der Bundesregierung Kohl/Genscher die größten Devisenreserven aller Staaten der Welt hinterlassen, größer als die der USA , größer als die der Sowjetunion, größer als die Japans.
Wir haben sie nicht vorgefunden, als wir anfingen. Diese Devisenreserven müssen nun allerdings zum Nutzen der Gemeinschaft und zum Nutzen Frankreichs auch verfügbar gemacht werden.
Manche der hier anwesenden älteren Kollegen haben vielleicht vor knapp zwanzig Jahren gemeinsam mit mir von Alex Möller, der nicht mehr diesem Haus angehört, gelernt, dass Außenwährungspolitik zugleich auch immer Außenpolitik ist.
Das Endziel muss, wenn das Schuldenproblem in Südamerika, wenn das Haushaltsproblem in Nordamerika im Griff ist, darin gesucht werden, ein Dreieckssystem relativ stabiler Wechselkurse zwischen dem europäischen ECU , dem amerikanischen Dollar und dem japanischen Yen herzustellen. Nur der Ausbau des Europäischen Währungssystems erlaubte der Europäischen Gemeinschaft eine stärkere Unabhängigkeit von den USA und notfalls auch die Ausübung von Druck auf die amerikanische Haushalts- und Kredit- und Zinspolitik.
Im dritten Kapitel eines gemeinsamen deutsch-französischen Projekts müsste von Arbeitsplatzbeschaffung und Modernisierung die Rede sein, eben nicht nur auf militärischem Felde, sondern insbesondere auf den vier Feldern, die Mitterrand in Straßburg angegeben hat: Elektronikforschung, Erforschung und Nutzung des Weltraumes, Verkehrswesen – zum Beispiel ein Programm für die Ausrüstung der Hauptstrecken in Europa mit Hochgeschwindigkeitsverkehr wie etwa heute zwischen Paris und Lyon – und die von ihm genannte ganze Skala der kulturellen Zusammenarbeit. Ich unterstreiche einen Punkt, den der Bundeskanzler genannt hat:
Es müssen fünftens die gemeinsame Entwicklung und die wirtschaftliche Nutzung umweltfreundlicher Technologien dazukommen.
Im vierten Kapitel braucht die Europäische Gemeinschaft für die Beeinflussung der Weltmärkte und des Verhaltens des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank etc. ein gemeinsames europäisches Konzept zur Entschärfung des Schuldenproblems der Entwicklungsländer.
Ich schließe das nächste Kapitel gleich an: Europa braucht ein gemeinsames Programm zur besseren Entwicklungshilfe für die am wenigsten entfalteten Entwicklungsländer, die sogenannten LLDC s, die so arm sind, dass sie gar nicht kreditwürdig waren, um im westlichen Bankensystem überhaupt einen Kredit zu bekommen. Öffentliche Entwicklungshilfe nützt unserer europäischen Industrie und unserer Beschäftigung weit mehr als immer neue Subventionen für landwirtschaftliche Überschussprodukte.
Ich füge sogleich einige Gedanken für eine gemeinsame französisch-deutsche Sicherheitsinitiative hinzu; ich wähle hier mit Absicht die Reihenfolge französisch-deutsch. Im ersten Kapitel – anders als in den USA und England – haben Franzosen und Deutsche die Wehrpflicht beibehalten. Sie verfügen deshalb in hoher Zahl über militärisch ausgebildete Personalreserven. Deutschland könnte heute nach Mobilisierung innerhalb einer Woche die stehenden konventionellen Streitkräfte der Bundeswehr auf das Zweieinhalbfache bringen. Jedenfalls könnten wir es beim Heer nach Mobilisierung von zwölf auf 18 Divisionen bringen. Frankreich könnte nach Mobilisierung seine stehenden konventionellen Streitkräfte fast auf die gleiche Zahl von Divisionen steigern und könnte nach Mobilisierung etwa zwölf Divisionen für die gemeinsame Verteidigung Europas vorsehen.
Dreißig französische und deutsche Divisionen zusammen reichen auf der Basis gemeinsamer operativer Pläne aus – solche Pläne gibt es ja doch seit 1969 ; damals war ich
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