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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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fort. Wir haben alle diese Krisen überwunden. Wir haben darüber hinaus gleichzeitig doch auch immer wieder Fortschritte zustande gebracht und uns sowohl anzahlmäßig erweitert als auch institutionell vertieft.
    Der vorläufig letzte Schritt – jedenfalls scheint es so – dieser institutionellen Vertiefung ist der Maastrichter Vertrag. Es ist eigentlich ein Kraut-und-Rüben-Vertrag. Ich habe mich aber für die Ratifikation dieses Vertragswerkes eingesetzt, weil ich mich, seit ich Jean Monnet Ende der vierziger Jahre kennengelernt habe, immer dafür ausgesprochen habe, dass wir die europäische Integration vorantreiben. In meinen Augen wäre es ein schwerer Rückschlag geworden, wenn wir Deutschen den Vertrag nicht ratifiziert hätten. Aber nachdem er ratifiziert worden ist, darf man ruhig laut sagen: Das ist ein Kraut-und-Rüben-Vertrag. Da ist von irgendwelchen Bürokraten alles mögliche Zweit- und Drittrangige hineingeschrieben worden. Zum Schluss haben dann die großen Staatsmänner ein paar große Linien noch darübergeschrieben, zu diesem Vertrag das einzig Vernünftige. Die große Linie der Anerkennung des Prinzips der Subsidiarität stimmt allerdings mit den anderen 150 Seiten des gedruckten Textes in keiner Weise überein.
    Das hat also nun gegenwärtig eine Post-Maastricht-Krise, eine psychologische Krise ausgelöst. Aber damit werden wir auch fertigwerden. Ich bin durchaus optimistisch in diesem Punkt (dazu später). Gleichzeitig erleben wir, dass sich abermals die Zahl der Mitglieder der Europäischen Union vermehrt. Finnland, Österreich und Schweden streben die EU -Mitgliedschaft an. Es wird dabei ja nicht bleiben. Jedenfalls hoffe ich, noch erleben zu können, dass die Polen und die Tschechen und die Ungarn auch Vollmitglieder der Europäischen Union werden. Vielleicht noch der eine oder andere mehr.
     
    Aber nun wieder zurück zu Russland: Die Russen müssen wissen, wo der Weg der Europäischen Union und der übrigen europäischen Einrichtungen – zum Beispiel die Westeuropäische Union – hinführen soll. Sie müssen auch wissen, wo die Grenzen der NATO sein sollen. Der Westen, zu dem wir gehören, hat ein Interesse daran, dass es später nicht wieder zu einer russischen Westexpansion kommt. Der Westen, zu dem wir gehören, hat auch ein Interesse daran, dazu beizutragen, dass Konflikte der Russen mit den baltischen Staaten oder Konflikte der Russen mit anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, den sogenannten GUS -Staaten, vermieden werden.
    Andererseits ist es wohl klug, wenn der Westen die Interessensphären der Russen anerkennt. Die Russen haben gegenwärtig noch keine für den Westen klar erkennbare außenpolitische Strategie entfaltet. Das hängt zusammen mit dem vorhin apostrophierten Ausbleiben einer staatlichen Konsolidierung, einer politischen Konsolidierung. Mir scheint, dass die Tendenz in Moskau darauf hingeht, eine Wiederherstellung staatlicher Einheit mit der Ukraine und auch mit Weißrussland zu betreiben. Für die Ukraine ist dies ein sehr schwieriges Problem; denn in der östlichen Ukraine leben immerhin zwölf Millionen Russen. In der westlichen Ukraine ist sehr viel weniger Neigung vorhanden, wieder unter einem gemeinsamen politischen Dach, das über die GUS hinausginge, mit den Russen zu wohnen. Ein anderes Problem sind die großen russischen Minderheiten in den zentralasiatischen Republiken oder in Moldawien oder in Estland oder in Lettland.
    Es würde mich nicht wundern, wenn russische Außenpolitiker (ich spreche gar nicht von Schirinowski, sondern ich spreche von Kosyrew) und russische Militärs (vielleicht der gegenwärtige Verteidigungsminister Gratschow) auf die eine oder andere Weise versuchten, eine Lage herbeizuführen, die eine Art Kondominium mit den Vereinigten Staaten von Amerika über Europa erhoffen lässt für eine fernere Zukunft. Der NATO -Konsultationsrat wäre eine Schiene in solcher Richtung. Die Ausweitung der KSZE auf den Gesamtbereich Russlands, das heißt bis nach Kamtschatka, wäre eine andere Schiene, wie Sie sie aus den Reden dieser beiden Minister entnehmen können. Dies kann nicht im Interesse der Europäischen Union sein. Deswegen muss die Europäische Union in absehbarer Zeit deutlich machen, wo sie im Osten die Grenze ihres Bereiches sieht. Das ist bisher nicht eindeutig geschehen. Aber das zu klären, ist meines Erachtens eines der akuten Probleme der Europäischen Union.
    Ein anderes Problem ist der amerikanische Vorschlag – an die

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