Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
ich gelernt, dass die drei großen monotheistischen Religionen auf der Welt alle aus den gleichen historischen Wurzeln kommen. Alle drei haben die gleichen Propheten. Allerdings erkennt das Judentum weder Jesus von Nazareth noch Mohammed an, und die Christen erkennen Mohammed nicht an. Wohl aber erkennt der Islam Jesus als einen großen Propheten an.
Wir werfen beim Islam praktisch alles in einen Topf und befremden damit völlig unnötig eine Reihe von Moslems, die in einigen auch für uns sehr wichtigen Staaten leben: in unserer Nachbarschaft, in der Türkei, in Algerien und Ägypten, etwas weiter weg in Pakistan, in Bangladesch und im größten islamischen Staat der Welt, Indonesien. Wir Deutschen tragen Mitverantwortung dafür, dass der Kampf der Religionen gegeneinander gedämpft, möglichst verhindert wird. Das Buch des Amerikaners Huntington über den »Clash of Civilizations« ist in meinen Augen eine schlimme Irreführung eines Massenpublikums von Lesern.
Ein zweites Weltproblem, das ich hier nennen will, ist die Degeneration der Marktwirtschaft in Raubtierkapitalismus. Dies drückt sich aus in raubtierhaften Eroberungen anderer Unternehmen. Dies drückt sich aus in einer finanziellen Korruption, die von Tokio bis Mailand reicht. Ganz frei sind wir in Deutschland auch nicht von solchen Dingen. Es drückt sich aus in einer schrecklichen Welle von Spekulationismus, von Monaco-Mentalität; gleich, ob das nun BCCI oder Donald Trump oder Draxel-Burnham-Lambert oder Shearson oder Kidder-Peabody oder Dr. Jürgen Schneider oder Metallgesellschaft heißt. Diese Mentalität hat sich wie ein Ölfleck ausgebreitet über die ganze Welt, gleichzeitig mit der Internationalisierung der Konjunkturen, gleichzeitig mit der schnellen Vernetzung der internationalen Finanzmärkte. Kursverluste an der Tokioter Börse setzen sich heute innerhalb desselben Tages über Frankfurt bis nach New York fort.
Wir müssen dieses Problem – zu dem die Europäische Gemeinschaft gemeinsam mit den Amerikanern und den Japanern und demnächst gemeinsam mit den Chinesen Schleusen und Kontrollen erfinden muss – sorgfältig unterscheiden von den Problemen, die zu Hause gelöst werden müssen und die nicht einmal die Europäische Union gemeinsam lösen kann; nämlich zu Hause in Holland, in Deutschland, in Frankreich, in Schweden oder in Italien.
Das heute bedrängendste Problem, die Massenarbeitslosigkeit, müssen die europäischen industriellen Demokratien in erster Linie zu Hause selber lösen! Denn es ist die Folge von nationalen Strukturentwicklungen; es hat mit Konjunktur fast nichts mehr zu tun. Unsere Unternehmensstruktur, die Struktur unserer Lohngefüge, die Struktur unserer Sozialversicherungen, die Struktur unserer Haushalte, alles dies bedarf der sorgfältigen Überprüfung. Wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir die Arbeitslosigkeit durch einen gemeinsamen EU -Protektionismus aus der Welt schaffen könnten, uns abschotten könnten gegen Billiglohnimporte aus Polen, Tschechien oder der Dritten Welt. Wir dürfen uns ebenso wenig einbilden, dass das Arbeitslosigkeitsproblem zu lösen sei, wenn die Europäische Union gemeinsam auf ein keynesianisches deficit-spending in den öffentlichen Haushalten hinsteuern würde.
In dem Zusammenhang will ich hier auf das dritte Weltproblem, nämlich die Degeneration der Marktwirtschaft in nationalen oder Handelsblock-Protektionismus nur hinweisen.
Das vierte Weltproblem ist meines Erachtens das der Umwelterhaltung, der natürlichen Ressourcen für die Menschheit. Auch dazu sind deutsche Beiträge erwünscht, auch sie schaden der Selbsteinbindung in die Europäische Gemeinschaft keineswegs.
Das fünfte Weltproblem ist die Bevölkerungsexplosion. Mindestens mit Frankreich und Italien, noch besser innerhalb der Europäischen Gemeinschaft insgesamt, müssen wir Deutsche uns darüber verständigen, wie wir fertigwerden wollen mit den zu erwartenden Massenbewegungen aus dem Südosten und aus dem Mittelmeerraum in Richtung auf Italien, auf Frankreich und auf Deutschland. Die Kairo-Konferenz von 1994 hat natürlich kein einziges Problem gelöst, das konnte sie auch nicht. Aber sie hat immerhin doch den Scheinwerfer auf das Weltproblem gerichtet. Als Fußnote füge ich hinzu: Man darf nicht hoffen, dass eine Verdoppelung der Entwicklungshilfe dieses Problem lösen würde. Die bisherige Entwicklungshilfe jedenfalls hat zwar die Säuglingssterblichkeit in den Entwicklungsländern nach unten gebracht
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