Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
die Kontrolle der Weltfinanzmärkte, für den Welthandel, für den Luftverkehr, die Raumfahrt, für Abrüstung und Waffenhandel – und auch für Konflikte zwischen Zivilisationen.
Auf allen globalen Konfliktfeldern werden die Weltmächte im nächsten Jahrhundert mit Gewissheit eine größere Macht haben (und wahrscheinlich eine große Portion Egoismus dazu) als etwa Holland oder Polen, England, Frankreich oder Deutschland – als alle die kleinen und mittleren Staaten des alten Europa.
Es wird bald deutlich werden, dass nicht nur die Vereinigten Staaten militärisch, politisch und wirtschaftlich eine Weltmacht sind, sondern ebenso China; Russland wird – seinen anhaltenden enormen Anpassungsschwierigkeiten zum Trotz – eine Weltmacht bleiben; Japan bleibt eine Finanzweltmacht, seiner enormen Sparkapitalbildung wegen; und Indien wird als Weltmacht bald folgen, sodann Indonesien, vielleicht auch Brasilien.
Sowohl die ökonomische Globalisierung als auch das für die nächsten Jahrzehnte zu erwartende Kartell der Weltmächte zwingt uns Europäer zur Fortsetzung unseres vor fünfzig Jahren begonnenen Integrationsprozesses, weil wir als einzelne Nationalstaaten unsere legitimen Interessen nicht werden wirksam vertreten können.
Nur gemeinsam, nur als Europäische Union werden wir ein ausreichendes Gewicht haben. Zu Zeiten Churchills, Marshalls und Monnets, zu Zeiten Adenauers und de Gasperis waren die Sorgen vor Stalin und die Einbindung Deutschlands die entscheidenden Motive für den Integrationsprozess. In den sechziger Jahren wurden die wirtschaftlichen Vorteile des gemeinsamen Marktes erkennbar, deshalb sind viele zusätzliche Staaten der Europäischen Gemeinschaft beigetreten.
Heute entsteht aus der Notwendigkeit, den Fährnissen der Globalisierung von Politik und Wirtschaft widerstehen zu können, ein zusätzliches, zwingendes Motiv. Zwar können manche Provinzpolitiker und manche Wirtschaftsprofessoren dies noch nicht einsehen, wenn von der gemeinsamen Euro-Währung als dem nächsten fälligen Schritt die Rede ist; aber mit der einzigen Ausnahme des heute bedeutungslos gewordenen antistalinistischen Motivs entspringen alle die genannten Motive dem vitalen, langfristigen deutschen Interesse. Sie entspringen dem aus der Geschichte gelernten strategischen Kalkül, nicht etwa aus bloßem Idealismus oder aus europäischer Schwärmerei.
Ohne die Hilfe Amerikas wäre unser heutiger hoher Lebensstandard nicht erreicht worden. Wir werden Amerika deshalb dankbar bleiben, dankbar auch für den bis 1990 entscheidend wichtigen Schutz durch die NATO . Von Truman und Eisenhower bis zu Reagan und Bush haben die Amerikaner den europäischen Integrationsprozess fördernd begleitet; auch die Regierung Clinton bezeigt dafür unveränderte Sympathie. Aber jetzt werden amerikanische Stimmen laut, die warnend auf das zukünftige Gewicht des Euro und auf die zukünftige autonome Macht der Europäischen Union hinweisen.
Diese Stimmen werden zunehmen. Die vornehmlich von Washington betriebene Osterweiterung der NATO und das amerikanische Drängen auf parallele Erweiterung der EU bis an die Westgrenzen des Irak entspringen vornehmlich dem strategischen Machtkalkül solcher Amerikaner, die ihr Land auch für das 21 . Jahrhundert als einzige Supermacht der Welt etablieren möchten.
Für uns Deutsche hingegen werden das Bündnis mit den Vereinigten Staaten und die NATO im 21 . Jahrhundert nicht mehr die gleiche überragende Bedeutung behalten wie noch vor wenigen Jahren. Deutschland wird dem Bündnis treu bleiben. Gleichzeitig wird jedoch der Prozess der europäischen Einigung, des Ausbaus der Europäischen Union und der engen Zusammenarbeit mit Frankreich immer bedeutsamer.
Andererseits muss Amerika verstehen, dass Deutschland im kommenden Jahrhundert keineswegs mehr automatisch auf der Seite der Amerikaner sein wird, wenn es um Streitigkeiten zwischen Washington und Paris geht. Es liegt im vitalen Interesse Deutschlands, keine Situation entstehen zu lassen, in der wir von unseren europäischen Nachbarn isoliert werden könnten. Frankreich bleibt unser wichtigster Partner; denn keine Globalisierung verändert unsere geographische Nachbarschaft.
Frankreich und Deutschland bleiben die Kernländer der europäischen Einigung. Der gemeinsamen Währung werden weitere Schritte folgen: die Erweiterung der Union durch zusätzliche Mitgliedsstaaten, zumal durch Polen, unseren zweitwichtigsten Nachbarn, der Ausbau der demokratischen
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