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Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)

Titel: Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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États Unis d’Europe« gegründet hatte – wir sprachen später immer nur vom »Monnet-Komitee« –, ist er und ist sein Komitee (ich bin 1967 Mitglied des Monnet-Komitees geworden) für mich eine überaus lehrreiche Schule gewesen.
    Ich habe zu einem wichtigen Teil durch dieses Komitee und durch diesen Mann die Probleme Europas zu durchschauen gelernt, die wesentlichen Elemente zur Lösung der Probleme, aber auch die tausend kleinen Details. Monnet war durchaus ein Mann, der nicht nur in großen Linien denken konnte, sondern der auch die Details beherrschte. Das kann man von heutigen Politikern in der Regel nicht mehr sagen.
    Das Komitee war eine Art privater Gesprächsgruppe, zusammengesetzt aus Politikern der westeuropäischen Staaten. Es diente Monnet als Resonanzboden für die Erörterung seiner Gedanken. Er war ein fähiger, aber zugleich ein überaus taktvoller Lehrer, der niemanden bloßstellte. Und er war ein kluger Erfinder tragfähiger Kompromisse, Kompromisse zwischen divergierenden Interessen, divergierenden Auffassungen der Nationen oder der Staaten. Zugleich ging sein Denken – und das war eigentlich ganz untypisch für einen Franzosen – schrittweise vor. Der Engländer Sir Karl Popper würde vom »piece-meal social engineering« gesprochen haben. Das Wort war damals noch nicht erfunden. Aber das war charakteristisch für Jean Monnet, er war ein Mann des Piece-meal engineering, weniger »social engineering«, eher »political engineering«. Er trug nie endgültige vollständige Entwürfe vor, sondern er hat uns, den Mitgliedern seines Komitees, damals beigebracht, in Prozessen oder in Entwicklungen zu denken. Wobei er stets sein eigenes großes Ziel ganz offenkundig nicht aus den Augen verloren hat. Monnet hatte sein internationales Komitee nicht etwa nur aus Menschen zusammengesetzt, die der gleichen politischen Schattierung angehörten. Vielmehr fanden sich hier Sozialisten, Sozialdemokraten, Liberale, Konservative zusammen. Zum Teil waren es politisch sehr erfahrene Leute, zum Teil waren es, wie ich selbst, jüngere Politiker. Als das Monnet-Komitee begann, war ich noch nicht einmal vierzig Jahre alt. Übrigens sind Giscard d’Estaing und ich uns in diesem Komitee zum ersten Mal begegnet. Auch Edward Heath bin ich im Monnet-Komitee erstmals begegnet.
    Als ich dann später in Bonn Regierungschef geworden bin, da hat mich Monnet zweimal auf meine Bitte hin besucht, weil ich ihn um Rat fragen wollte, und er hat mir seinen Rat gegeben. In meinen Augen war er einer der klarsten, der am stärksten folgerichtig denkenden Politiker, die ich in der internationalen Politik in vier Jahrzehnten kennengelernt habe. Monnet war in meinen Augen über weite Strecken seines Lebens ein Politiker, aber er war ein Politiker ohne Amt und ohne Auftrag. Ein offizielles öffentliches Amt hat er nur eine relativ kurze Zeit in Luxemburg ausgeübt. Er war eigentlich ein Mann ohne Macht. Er war aber ein Mann, der Ideen und Vorstellungen entwickelte und der sich dann die Leute suchte, die ihrerseits genug Macht und Einfluss hatten, um seine Vorstellungen zu verwirklichen: eine ganz ungewöhnliche Vorgehensweise in der Politik.
    Auf diese Weise ist es 1950 zum Schuman-Plan gekommen, auf dieselbe Weise auch zum Pleven-Plan, der hier in Paris 1954 gescheitert ist (worüber meine Partei in Deutschland gejubelt hat – und ich selbst war entsetzt). Monnet hat in beiden Fällen sowohl Robert Schuman als auch René Pleven den öffentlichen Ruhm gelassen. Ihm kam es viel mehr auf die Sache an, als auf die Befriedigung menschlicher Eitelkeit. Das Monnet-Komitee war übrigens, wenn ich es richtig verstehe, seit Mitte der fünfziger Jahre, der eigentliche Wegbereiter für Euratom, später für die Römischen Verträge und den Gemeinsamen Markt.
    Später hat sich dann Monnet auf die Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der EWG , und ganz besonders auf die von ihm erstrebte Mitwirkung und Mitgliedschaft Englands konzentriert. Zwei der ganz großen Probleme begegneten wir da: Einerseits war es zunächst notwendig, die politische Klasse in Frankreich von einer Revision der Grundsatzentscheidung zu überzeugen, die General de Gaulle am Anfang der sechziger Jahre gegen England getroffen hatte, also eine Revision des Vetos des Generals gegen den Beitritt Englands. Andererseits war da das andere Problem, dass man die Engländer dazu bewegen musste, überhaupt ein zweites Mal beitreten zu wollen, nachdem Harold Macmillan

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