Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Institutionen und der Infrastruktur der Union und später die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
Bei diesem Prozess wird es natürlich auch wieder zu Krisen, Fehlern und Misserfolgen kommen. Doch ich rechne fest auf den politischen Willen und die Krisenfestigkeit von Franzosen und Deutschen, weil beide Länder sich auch zukünftig von denselben strategischen Interessen leiten lassen werden wie schon in früheren Krisensituationen. Die grundlegenden strategischen Motive werden mehr Gewicht haben als jeder vorübergehende Konflikt, sei er innenpolitisch, ideologisch oder durch Eitelkeiten begründet.
Die Europäische Union ist in der Geschichte der Menschheit ein einzigartiges Unterfangen. Denn einerseits sind wir Europäer fest entschlossen, unsere jeweilige Landessprache, unser unterschiedliches kulturelles Erbe und unsere nationale Identität zu bewahren. Dennoch schließen wir uns zusammen – nicht weil ein Diktator oder Eroberer es so will, sondern weil wir überzeugt sind, unsere nationalen Interessen durch eine Europäische Union am besten vertreten zu können, mag sich die Weltordnung im kommenden Jahrhundert noch so sehr verändern.
Natürlich runzeln einige Amerikaner über dieses große Projekt die Stirn; einige argwöhnen schon heute, der Euro könnte bis zu einem gewissen Grad den amerikanischen Dollar verdrängen. Andere befürchten, eine künftige gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union könne Amerikas Außenpolitik den Primat nehmen. Doch die Amerikaner sollten darauf vertrauen, dass die Europäer zu den gemeinsamen Werten Amerikas und Europas stehen: Demokratie, Wahrung der Menschenrechte, Freiheit, die Würde des Einzelnen und eine unabhängige Justiz.
Europa und Amerika sind eng verbunden durch ihre Geschichte, ihre Religionen, durch Philosophie und Literatur, durch gemeinsame demokratische und ökonomische Konzepte. Diese Bande sind von Dauer. Und Amerika sollte nicht vergessen, dass die Entstehung der Europäischen Union eine seiner größten Leistungen ist. Ohne den Marshallplan wäre es vielleicht nie dazu gekommen.
Jean Monnet und das neue Gesicht Europas nach dem Zweiten Weltkrieg ( 1997 )
Eine Woche vor seinem Artikel zum 50 . Jahrestag des Marshallplans hatte Helmut Schmidt auf Einladung des Deutschen Historischen Instituts in Paris eine Rede auf Jean Monnet gehalten. Auch diese Gelegenheit nutzte er, von den frühen Europa-Initiativen eine direkte Linie zu ziehen zu den Herausforderungen der Gegenwart. Hatte er in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe der Erinnerungen Monnets zwanzig Jahre zuvor in erster Linie dessen Lebensleistung gewürdigt, so erinnerte er jetzt daran, dass seine eigene Mitgliedschaft im Monnet-Komitee für ihn »eine überaus lehrreiche Schule« gewesen sei. Angesichts kapitaler Fehlentscheidungen der Regierenden in Paris und Bonn sei es umso notwendiger, die strategischen Motive dieses großen Europäers in Erinnerung zu rufen.
I ch habe das Glück gehabt, in meinem Leben eine größere Zahl von Freunden in Frankreich zu gewinnen. An erster Stelle nenne ich natürlich Valéry Giscard d’Estaing, aber auch Raymond Barre, auch François Mitterrand, auch Jacques Delors. Ich habe eine große Hochachtung gehabt gegenüber Robert Marjolin in den fünfziger und sechziger Jahren.
Aber der erste Franzose, den ich näher kennengelernt habe, das war Jean Monnet. Ich hatte das Glück, ihm zum ersten Mal zuzuhören Ende der vierziger Jahre – ich bin nicht mehr ganz sicher, ob es 1947 oder 1948 gewesen ist – anlässlich einer kleinen Veranstaltung in Straßburg. Ich war damals schon – und bin darin durch ihn ganz wesentlich gefestigt worden – der Überzeugung, dass die Idee der europäischen Integration eine strategisch notwendige Idee war. Ich komme darauf nachher noch einmal zurück. Jean Monnet war im gleichen Jahr geboren wie mein Vater, also eine Generation vor mir. Der große Altersunterschied, aber eben auch Monnets kluger, welterfahrener Überblick über die Lage Europas, über die Möglichkeiten Europas, der hat von Anfang an einen sehr spürbaren Abstand zwischen dem jungen Mann – ich war damals dreißig – und dem alten erfahrenen Mann geschaffen. Einen mir persönlich sehr deutlich spürbaren Abstand, der auf meiner Seite nur Bewunderung und später Verehrung zugelassen hat. Nachdem Monnet aus der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ausgeschieden war und sein Komitee, das Aktionskomitee »Pour les
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