Mein Europa: Mit einem Gespräch mit Joschka Fischer (German Edition)
Anfang der sechziger Jahre an de Gaulle gescheitert war. So dauerte es bis über das Ende der sechziger Jahre hinaus – de Gaulle war inzwischen verstorben –, bis sein Nachfolger Georges Pompidou und in London Edward Heath den Beitritt Englands tatsächlich zustande brachten.
Es ist 1977 gewesen, als ich zum letzten Mal einen persönlichen Brief von Monnet bekam. Er war damals schon 87 oder 88 Jahre alt, und auch dieses Mal, wie schon so oft vorher, war sein Brief begleitet von einer Flasche Cognac. Er pflegte uns zu Weihnachten oder zu Geburtstagen kleine Briefchen zu schicken und eine Flasche Monnet-Cognac beizufügen. Ich selbst bin mehr ein Whisky-Trinker als ein Cognac-Trinker. Aber es hat immer Leute gegeben bei mir zu Hause, die Monnets Cognac gerne getrunken haben. Zwei Jahre später ist er gestorben, und der französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing und der deutsche Bundeskanzler, ich selbst, haben an der Totenfeier für Monnet gemeinsam teilgenommen.
Einen seiner Briefe habe ich kürzlich erneut in der Hand gehabt, er stammte aus dem März 1967 . Dieser Brief enthielt eine Skizze der psychologischen und politischen Fortschritte beim Aufbau der europäischen Integration, der Europäischen Gemeinschaften seit dem Schuman-Plan, und da stand wörtlich: »Durch diese Fortschritte rücken der Beitritt Englands zum Gemeinsamen Markt, die Gleichberechtigung zwischen dem vereinten Europa und den USA , die friedliche Koexistenz zwischen Ost und West, die Vereinigung der heute getrennten Deutschen und schließlich der Beginn einer Gestaltung des Friedens ihrer Verwirklichung wesentlich näher.« So der visionäre Wortlaut aus einem Brief Jean Monnets an mich, 1967 , heute vor dreißig Jahren.
Monnet war immer ein sehr weit in die Zukunft blickender Mann. Und tatsächlich sind im Laufe der Jahrzehnte fast alle die von Monnet postulierten Aufgaben gelöst worden. Er war übrigens selbst ein Mann, der immer zur Geduld ermahnt hat, wohlwissend, dass nur ein steter Tropfen letztlich dann doch den Stein höhlen kann, wie ein deutsches Sprichwort behauptet. Für mich, meine Damen und Herren, steht fest, dass ohne diesen sehr beharrlichen Mann, der zugleich ein sehr bescheidener war, ohne diesen Mann mit dem sicheren Blick für die Zukunft und mit dem Augenmaß für das jeweils Mögliche, dass wir ohne ihn nicht dort angelangt wären, wo wir heute stehen. Ohne Jean Monnet wäre es nicht zu der ungemein wirksamen Zusammenarbeit zwischen Paris und Bonn gekommen, die in der ersten Hälfte der sechziger Jahre begonnen und die während der sieben Jahre, in denen Giscard d’Estaing und ich gleichzeitig an der Spitze der beiden Regierungen standen, einen gewissen Höhepunkt oder sagen wir besser ein Hochplateau erreicht hat. Manche der Vorstellungen Monnets sind heute noch nicht verwirklicht, zum Beispiel die Überwindung des Einstimmigkeitsprinzips. Dies bleibt abzuwarten. Vielleicht gelingt dies demnächst in Amsterdam, wahrscheinlich aber auch dort nicht.
Was die Schaffung einer europäischen Währung betrifft – auch das ein Gedanke, der von Monnet stammt –, so haben wir ja leider in den frühen neunziger Jahren erlebt, dass wegen naiver nationaler Prestigeeitelkeiten vier Regierungen (in Rom, in Paris, in London und in Bonn) das Europäische Währungssystem praktisch zerstört haben, welches Giscard und ich Ende der siebziger Jahre, auf Monnets Gedanken fußend, ins Leben gerufen hatten und von dem wir annahmen, dass der ECU – der sich dann im Laufe der achtziger Jahre sehr wohl auf den internationalen Finanzmärkten und Kapitalmärkten der Welt etabliert hatte – der Kern oder der Anker der späteren gemeinsamen Währung sein würde. Das alles ist leider 1992 / 93 abgebrochen worden, durch uneinsichtige Regierungen, die geglaubt haben, mit Hilfe ihres Maastrichter Vertrages etwas sehr viel Besseres in die Welt zu setzen.
Das Letztere mag auch so sein. Nur haben sie in Kauf genommen, dass zwischen dem In-Kraft-Treten der gemeinsamen Währung, genannt Euro, und der Zerstörung des ECU und des EWS sieben Jahre der Wirrnis liegen, mit einem Jahrmarkt der Eitelkeiten insbesondere auch in Frankfurt und in Bonn, aber nicht nur dort. Gleichwohl bin ich ziemlich sicher, dass wir am 1 . Januar 1999 den Euro bekommen werden. Eine kleine Rolle spielt dabei die Frage, welche europäische Politik die Regierung einschlagen wird, die nach dem kommenden Sonntag hier in Paris gebildet werden muss.
Ich bin
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