Mein feuriges Herz
die Redaktion von Heart to Heart , um Auskünfte über Londoner Findelheime einzuholen, in der Hoffnung, dass Krista, die sich aktiv für Sozialreformen einsetzte, ihnen sachdienliche Hinweise geben könnte.
Auf der Fahrt in den Verlag wurde das Paar von den beiden Leibwächtern Franklin und Deavers begleitet, auf die Gray erst verzichten wollte, wenn die Drahtzieher hinter den Anschlägen dingfest gemacht wären.
Beim Betreten der Redaktionsräume schlug Corrie der vertraute Geruch nach Druckerschwärze, Öl und Papier entgegen. Die riesige Stanhope-Druckerpresse, an der Gray lebhaftes Interesse zeigte, nahm einen Großteil der Halle im Parterre des Gebäudes ein.
Sie durchquerten den lang gestreckten Raum und betraten Kristas Büro.
„Guten Morgen“, grüßte die hochgewachsene Verlagsleiterin die morgendlichen Besucher. „Welch freudige Überraschung!“ Sie hatte wohl vermutet, die beiden würden einen gemütlichen Vormittag im Bett verbringen. „Wie war euer Theaterbesuch?“
„Ich fürchte, nicht ganz so erbaulich, wie wir uns das vorgestellt hatten“, antwortete Gray.
Und dann erhielt Krista einen ausführlichen Bericht über die dramatischen Geschehnisse der vergangenen Nacht.
„Einer der Kerle sagte uns, dass der kleine Joshua Michael in ein Findelheim gebracht wurde.“
„Um Gottes willen“, entfuhr es Krista erschrocken. „Diese Orte sind die wahre Hölle.“ Sie trat ans Fenster und blickte auf die belebte Straße hinunter. „Ich bin Mitglied einer Organisation, die bestrebt ist, solche Pflegestellen verbieten zu lassen.“
„Weißt du denn Näheres über die Zustände, die dort herrschen?“, fragte Corrie bang.
„Diese Einrichtungen sind das Ergebnis der Reform des Armutsgesetzes vor etwa zehn Jahren. Damit wurde der Versuch unternommen, an das Gewissen und die Moral der Frauen zu appellieren, indem man den Vätern unehelich geborener Kinder jeden Anspruch auf das Kind entzog. Der Mutter fällt das alleinige Sorgerecht für das Kind zu und damit natürlich auch die Sorgfaltspflicht. Dahinter steht der Gedanke, dass eine Frau, die solche Konsequenzen zu befürchten hat, sich weniger leichtfertig mit einem Mann einlässt.“
„Davon wusste ich nichts“, warf Corrie ein.
„Das weiß kaum jemand. Die meisten dieser Mütter müssen arbeiten und verdienen kaum genug, um sich selbst zu ernähren. Für sie ist die einzige Lösung, das Kind in fremde Hände zu geben.“
Grays Kiefer mahlten.
„Wie kann eine Mutter so etwas tun?“, fragte Corrie leise. „Wie kann sie ihr eigenes Kind im Stich lassen.“
„Das ist der springende Punkt“, fuhr Krista fort. „Diese Pflegestellen werden meist von älteren Frauen in Zeitungsannoncen angeboten, in denen sie behaupten, einem Säugling ein liebevolles Heim zu bieten für eine erschwingliche Summe – die häufig vom Kindsvater aufgebracht wird. Aber eine Pflegemutter erwirtschaftet nur dann einen Gewinn, wenn das Kind möglichst bald stirbt, bevor das Geld aufgebraucht ist.“
Corries Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Barmherziger Gott.“
„Die meisten Säuglinge verhungern, manche werden mit Laudanum betäubt oder mit verwässerter Milch gefüttert, der Kalk beigemischt ist. Die Säuglinge sterben einen qualvollen Hungertod oder an Krankheiten, hervorgerufen durch Unterernährung. Es tut mir leid, Coralee, aber die meisten dieser armen Würmer überstehen die ersten Monate nicht.“
Corrie konnte nicht sprechen, so sehr war ihr die Kehle zugeschnürt.
Krista seufzte. „Ich weiß, es ist furchtbar, so etwas zu hören.“
Entschieden straffte Corrie die Schultern. „Ich muss alles wissen, Krista.“
Die Freundin kehrte an ihren Platz hinter dem Schreibtisch zurück. „In manchen Fällen bezahlt ein Elternteil einen monatlichen Beitrag. Diese Kinder haben eine bessere Chance zu überleben, da die Beiträge, so gering sie auch sein mögen, nur bezahlt werden, solange das Kind lebt. Doch auch diese Kinder werden mangelhaft ernährt und sterben meist, bevor sie das erste Lebensjahr erreichen.“
Corrie dachte an den kleinen Joshua Michael und ihre Hoffnung sank. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mörder Geld ausgibt, um ein Kind am Leben zu erhalten.“ Sie blickte zu Gray, während Tränen in ihren Augen brannten.
„Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, Coralee.“
„Ja, wir müssen ihn finden, ehe es zu spät ist.“
Gray nahm ihre Hand. „Wir suchen, bis wir wissen, was aus ihm geworden ist.“ Er
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