Mein feuriges Herz
verrückten Idee besessen war, die verlorene Ehre ihrer Schwester zu retten.
Charles räusperte sich. „Ich nehme an, Sie sprechen von der jungen Dame, die bei uns unter dem Namen Letty Moss wohnt.“
„Genau. Leider sind wir ihr erst kürzlich auf die Schliche gekommen. Meine Gemahlin und ich machten uns Sorgen um sie. Coralee konnte dem Landleben nie besondere Reize abgewinnen, aber angeblich hält sie sich seit Wochen in Selkirk Hall auf und lässt kaum etwas von sich hören. Also beschlossen wir, nach dem Rechten zu sehen, nur um festzustellen, dass sie nie dort angekommen ist.“
„Verstehe. Davon hatte ich leider nicht die geringste Ahnung.“ Charles’ blonde Brauen zogen sich über seinen haselnussbraunen Augen zusammen. „Was veranlasste Ihre Tochter zu dieser seltsamen Charade?“
„Das weiß ich selbst nicht genau.“
Charles winkte dem Butler, dem unerwarteten Besucher Hut und Mantel abzunehmen.
„Vielleicht sollten wir besser unter vier Augen darüber sprechen“, schlug Charles vor.
„Ja, das halte ich für angebracht.“
„Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“ Er führte den Viscount in ein Empfangszimmer und bat ihn, Platz zu nehmen. Der Butler schloss die Tür.
„Ich muss gestehen, Ihre Tochter ist eine begabte Schauspielerin“, sagte Charles. „Wir haben Coralee zuletzt als Kind gesehen. Sie können uns kaum vorwerfen, sie nicht erkannt zu haben.“
„Die Schuld liegt nicht bei Ihnen, Charles. Und ich entschuldige mich für die Umstände, die sie Ihnen bereitet hat. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass ich meine Tochter ins Gebet nehme und ihr ordentlich die Leviten lese. Wenn Sie nun die Güte haben, Sie zu holen …“
Charles machte ein betretenes Gesicht. „Ich fürchte, das ist im Augenblick leider nicht möglich.“
Justin beäugte ihn argwöhnisch. „Was wollen Sie damit sagen?“
„Ihre Tochter machte gestern einen Reitausflug, kurz bevor das Gewitter losbrach. Gray sorgte sich um sie und ritt hinter ihr her. Ich bin sicher, er hat sie gefunden, da er noch nicht zurückgekehrt ist. Ich nehme an, die beiden haben Unterschlupf gesucht und warten, bis es aufgehört hat zu regnen.“
„Und wenn er sie nicht gefunden hat? Wenn sie irgendwo da draußen liegt und verletzt ist oder noch Schlimmeres passiert ist?“, fragte der Viscount tief besorgt. Gottlob hatte er darauf bestanden, dass Constance ihn nicht begleitete und auf Selkirk Hall geblieben war. Wenn sie wüsste, dass ihre Tochter die ganze Nacht fortgeblieben war, würde sie vor Sorge krank werden.
„Mein Bruder war Offizier. Hätte er sie nicht gefunden, wäre er ins Schloss zurückgeritten, um Hilfe zu holen. Der Sturm wütete ja die ganze Nacht und legte sich erst heute Morgen. Ich halte es für vernünftig, noch abzuwarten. Wenn die beiden in der nächsten Stunde nicht eintreffen, schicke ich einen Suchtrupp los.“
Justin hasste es zwar, warten zu müssen, aber es war wohl vernünftiger, als ziellos durch die Gegend zu irren.
„Glauben Sie wirklich, dass Ihr Bruder sie gefunden hat?“
„Davon bin ich überzeugt. Wie gesagt, Gray war Offizier, auf ihn ist absoluter Verlass.“
Justin dachte an den gut aussehenden Earl, dem er in London einige Male bei gesellschaftlichen Anlässen begegnet war. Und er kannte Grayson Forsythes Ruf als Herzensbrecher. Ein höchst unangenehmer Gedanke schoss ihm durch den Sinn. „Sollten die beiden die Nacht zusammen verbracht haben, wissen Sie, was das bedeutet.“
Charles hob jäh den Kopf. „Grundgütiger – er muss sie heiraten.“
Justins Kiefer mahlten. Der Ruf seiner ältesten Tochter war bereits ruiniert; unter dem Skandal würde seine Familie noch Jahre zu leiden haben. Einen zweiten Skandal würde er nicht hinnehmen. Sollte der Schurke die Nacht mit Coralee verbracht haben, musste er sie heiraten.
Er dachte an den Freiheitsdrang seiner Tochter, an ihr eigenwilliges, rebellisches Wesen.
Zum Teufel damit! Diesmal würde sie sich ihm nicht widersetzen.
Sie musste den Earl heiraten – ob ihr das passte oder nicht!
Der zerrissene Gurt des Damensattels war unbrauchbar geworden, und Gray ließ ihn im Jagdhaus zurück. Auf dem Heimweg saß Corrie vor ihm auf Raja, und Tulip trottete hinter ihnen her. Corries Gedanken drehten sich um die leidenschaftliche Liebesnacht, die sie mit Gray verbracht hatte. Einem Mann mit seinem Ruf traute sie zu, sie zu verstoßen, nachdem sie ihre Unschuld an ihn verloren hatte.
Diese Überlegung machte sie beklommen.
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