Mein Flirt mit der Blutfrau
kenne sie. Ich habe sie immer wieder gehört. Aber ich konnte sie nicht glauben, ich dachte an ein Märchen.«
»Nein, kein Märchen. Es ist schade, aber du hast recht. Ich habe sie getötet.«
Juan staunte sie an. »Und… und weshalb?« Seine eigene Stimme kam ihm fremd vor.
»Deinetwegen!«
»Was sagst du da?«
»Ja, deinetwegen. Ich habe sie deinetwegen getötet. Es waren die Menschen, die dich schlecht behandelt haben. Denk an Gomez. Ihn werde ich mir auch noch vornehmen. Er hat dich fertiggemacht. Er hat seine Macht ausgespielt, und da habe ich ihm den Partner genommen. Das konnte er nicht verkraften…«
»Was war mit Daguera?«
»Der erste Tote? Hat er dich nicht einmal aus seinem Laden geworfen und einen Hund auf dich gehetzt?«
»Schon. Deswegen braucht man einen Menschen wirklich nicht zu töten!«
»Ich denke da anders.«
»Auch bei meiner Tante?« Juan weinte, als er die Frage stellte. Die Erinnerung war einfach zu schlimm.
»Auch bei ihr. Ich bin zu ihr gegangen, um sie davon zu überzeugen, daß sie sich auf unsere Seite stellen soll. Das hat sie nicht getan. Sie weigerte sich. Sie wollte es nicht. Ich spürte den Haß, den sie mir entgegenschickte. Sie wäre nie auf meine Linie eingeschwenkt, wenn du es begreifst, Junge.«
Juan nickte. »Ja, das ist mir klar. Weil sie nicht wollte«, flüsterte er, »hast du sie umgebracht.«
»Genau. Sie wollte dich für sich haben. Das ist nicht mehr möglich. Wir beide sind untrennbar miteinander verbunden, Junge. Du hast mir die Schönheit zurückgegeben. Wer mir die Schönheit zurückgibt, dem gehöre ich auch. So ist das nun einmal. So schreiben es die Gesetze vor.«
»Die… die interessieren mich einen Dreck!« schrie er ihr ins Gesicht.
»Ich kann dich nicht mehr sehen, Lavinia. Geh, verlasse dieses Haus. Die Polizei sucht dich. Sie weiß, wer der Mörder ist. Sie wird dich finden und zur Rechenschaft ziehen…«
»Aber Juan. Kann man eine lebende Tote vor Gericht stellen und zur Rechenschaft ziehen?«
»Man kann es…« Er überlegte, denn er hatte erst jetzt den Begriff lebende Tote begriffen. »Was bist du?«
»Eine lebende Tote. Eine Hülle, aber eine sehr schöne Hülle. Ein Mann ist auf mich reingefallen. Ich habe ihn umgarnen können, und ich werde ihn weiter umgarnen, bis er mir gehört, und zwar mit Leib und Seele, mein Junge.«
Juan hatte vorgehabt zu widersprechen. Er hatte ihr erklären wollen, daß dies bei John Sinclair nicht so einfach sein würde, doch eine innere Stimme hielt ihn davon ab, ihr mitzuteilen, daß er und der Mann aus London sich kannten.
Lavinia lachte leise. »Du siehst, mein Freund, daß ich es schaffe, die Menschen zu umgarnen. Nicht umgekehrt ist es. Damit mußt du dich nun einmal abfinden.«
»Aber nicht mich!« sagte er, »nein, nicht mich. Ich will nicht. Ich will nicht mehr!«
»Danach wirst du nicht gefragt. Du hast mich erweckt, du wirst deshalb auch die Folgen tragen. Das ist es!«
»Geh!« schrie er.
Sie ging tatsächlich. Allerdings nicht aus dem Haus. Die Blutfrau bewegte sich auf Juan zu.
»Was willst du denn?« stotterte er. »Was hast du mit mir vor? Du sollst doch wegbleiben.«
»Das werde ich nicht, mein Junge. Wirbeide gehören zusammen. Du und ich, wir bilden eine Einheit…«
»Neiiinnn!« Er schrie das Wort und schüttelte den Kopf, während Lavinia lachte.
Dieses Lachen drang Juan tief unter die Haut. Er peitschte und putschte ihn auf.
Er kam sich plötzlich vor wie ein kleines Kind, mit dem man machen konnte, was man wollte.
Aber nicht mit ihm!
»Ich will nicht!«
»Du wirst nicht gefragt…«
Juans Blick verschleierte.
Seine Gesichtsfarbe hatte einen hochroten Farbton bekommen, und auch in seinem Innern wallten gewaltige Ströme hoch, die rote Nebel vor seinen Augen entstehen ließen.
Er schaute nach unten. Zwangsläufig traf sein Blick die Tischplatte, auf der die Schere lag.
In Juan rastete etwas aus. Er schnappte nach dem Gerät, hielt es mit der rechten Hand fest und drehte die Schere so, daß die beiden zusammengeklappten Schenkel eine Spitze bildeten, die geradewegs auf den Körper der Frau wies.
Lavinia war stehengeblieben. Sie bewegte ihre Stirn. Dabei zogen sich die Augenbrauen zusammen. »Willst du mich töten?« fragte sie leise.
»Hast du tatsächlich vor, mich zu töten?«
Juan nickte hastig. »Si, si…«
»Aber Juan, denk doch nach.« Sie sprach zu ihm wie eine Mutter zu ihrem ungezogenen Kind. »Wie willst du mich töten, wo ich schon gestorben
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