Mein Flirt mit der Blutfrau
zu.
Mit dem Rücken lehnte er sich gegen Holz, atmete keuchend und räusperte sich die Kehle frei. Sein Herz schlug schneller als normal. Er stand im schmalen Flur und ging dann mit zitternden Knien in den Wohnraum, wo noch alles so war, wie er es in Erinnerung und wie seine Tante ihn verlassen hatte.
Ihre persönlichen Dinge lagen verstreut umher. Vor allen Dingen Garn, das sie eingekauft hatte. Sie wollte stricken und sich damit etwas Geld verdienen.
Das war nun nicht mehr der Fall.
Er ging in das Zimmer hinein. In der Mitte ungefähr standen die beiden alten Sessel und auch die durchgesessene Couch. Er nahm in einem der Sessel Platz, stierte ins Leere und weinte leise vor sich hin. Er hatte Sinclair belogen. Zurück ins Hotel wollte er nicht mehr. So schwer es ihm auch fiel, er wollte sich bis zum Treffpunkt in diesem Haus aufhalten. Es war ja möglich, daß er sie noch einmal sah. Den Täter zog es oft an den Ort des Verbrechens zurück, das hatte er mal gehört und auch gelesen. Im Haus selbst war es nicht still. Irgendwo knackte immer etwas. Ein altes Holzbrett einer Diele oder auch oben im Gebälk des Dachbodens, wo der Mord geschehen war.
Lavinia di Lima war dagewesen und hatte seine Tante umgebracht. Warum? Esmeralda hatte keinem Menschen etwas getan. Ihr gesamtes Leben hatte nur aus Arbeit bestanden.
Aus tränenfeuchten Augen schaute er auf die Schere, die auf dem Tisch lag. Es war eine schwere Schneiderschere mit verschieden großen Grifflöchern und sehr breiten Schenkeln.
Juan dachte an die letzten Wochen. Da war er stolz gewesen, eine Person wie die Blutfrau als Verbündete zu wissen, mit der er ein Geheimnis teilte.
Und jetzt?
Er haßte sie plötzlich. Er haßte sie wie nie eine Kreatur zuvor. Er hätte sie umbringen können. Sie war eine Schönheit und trotzdem ein Monster, das keine Gnade kannte.
Blutfrau…
So war sie in der alten Legende genannt worden. Früher, als es noch Piraten gegeben hatte, da war sie erschienen. In dieser Zeit hatte sie auch den Namen bekommen.
Wie schrecklich…
Juan schloß die Augen und preßte die Hände vor das Gesicht. Er wollte nachdenken und mußte nun feststellen, daß er es einfach nicht schaffte.
So blieb er hocken, tief versunken in seine wilden Gedanken, die um Lavinia di Luna kreisten. Sie war zu einer schrecklichen Mörderin geworden. Wie vor Hunderten von Jahren, als alles begann. Plötzlich saß er steif. Er wußte selbst nicht, was ihn gestört hatte. Jedenfalls konnte er sich nicht mehr bewegen und lauschte in die Stille des Hauses hinein.
Es war nicht mehr still.
Aus dem schmalen Hur, wo die alte Holztreppe bis unter das Dach führte, vernahm er Geräusche. Es waren Schritte… Juan hielt den Atem an. Er wußte nun, daß er sich nicht mehr allein im Haus befand. Wer war gekommen?
Leider saß er mit dem Rücken zum Ausgang. Um etwas erkennen zu können, mußte er sich erst herumdrehen. Das tat er und stemmte sich dabei hoch. Seine Arme zitterten in Höhe der Ellenbogen, er spürte auch sein Herz wieder schneller schlagen, und über den Rücken rieselte es kalt. Ohne es schon gesehen zu haben, wußte Juan genau, wer sich in dem ansonsten leeren Mordhaus aufhielt.
Sie stand in der Tür und lächelte. Ja, sie lächelte, obwohl sie Morde auf dem Gewissen hatte.
Wie kann man da nur lächeln? fragte sich Juan. Wie ist das überhaupt möglich? Lavinia di Luna hatte sich umgezogen. Sie war in Schwarz gekleidet, die Farbe der Trauer, der Düsternis, des Todes. Eine schwarze Hose, eine schwarze Bluse, die einen tiefen Ausschnitt zeigte. Das Stirnband aus Metall zeigte einen matten Glanz. Die Augen schauten Juan groß an, der Mund lächelte.
»Hallo, Juan…«
Er konnte nicht reden. Er mußte zunächst Luft holen. »Du?« ächzte er.
»Du bist gekommen?«
»Si. Weshalb nicht?« Mit einer harmlos wirkenden Geste breitete sie die Arme aus.
Die nächsten Worte fielen dem Jungen schwer. »Du hast Menschen getötet. Du bist eine Mörderin. Du hast sogar meine laute umgebracht, die dir nichts tat…«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es eben!« erwiderte Juan erstickt. »Man nennt dich die Blutfrau. Man hat dich immer so genannt. Ich hätte mißtrauisch werden sollen, ich war es nicht und habe den Fehler begangen, dich zu ernähren. Mit Blut zu ernähren. Ich schäme mich, ich…«
»Hast du nichts gewußt? Kennst du nicht meine lange Geschichte? Die Leute hier reden davon.«
Juan wurde unruhig. Er spielte nervös mit den Händen. »Si, ich
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