Mein Flirt mit der Blutfrau
gerichtet. »Sie sind kein normaler, Tourist, Señor Sinclair.«
»Doch, ich mache Urlaub. Wie kommst du darauf?«
»Sie sind anders. Sánchez hatte nichts dagegen, daß Sie mit mir reden. Wieso?«
Ich nickte ihm zu. »Gut, ich will dir die Wahrheit sagen, Juan. Ich bin zwar als normaler Tourist hergekommen, weil ich eine Woche Urlaub machen wollte, von Beruf aber bin ich Polizeibeamter. Hast du schon einmal Scotland Yard gehört?«
»Natürlich.«
»Da bin ich angestellt.«
»Deshalb das Interesse.«
»Genau. Nur hat es mit Lavinia di Luna unmittelbar nichts zu tun«, erklärte ich. »Es war der reine Zufall, daß ich ihr begegnet bin. Das jedenfalls nehme ich an.«
Juan lächelte. »Bei ihr ist nichts Zufall.«
Ich nahm einen Schluck von dem bitteren Gebräu, das sich Kaffee nannte. Dabei dachte ich über seine Worte nach. »Du scheinst sie näher zu kennen, nicht wahr?«
Er nickte sehr langsam. Seine Augen füllten sich wieder mit Tränen. »Ja, ich kenne sie. Außerdem«, er holte tief Atem. Ich sah ihm an, daß er einen entscheidenden Satz sprechen wollte. »Außerdem trage ich an den schrecklichen Taten die Schuld. Hätte ich sie nicht hergeholt, hätte ich nicht alles vorbereitet, wären die drei Menschen noch am Leben. So aber sind sie umgebracht worden.«
Juan hatte mit einem so großen Ernst gesprochen, daß ich nicht anders konnte, als aufzuhorchen. »Du gibst dirdie Schuld an den Untaten?« forschte ich nach.
»So ist es.«
»Das kann doch nicht sein, Junge. Du bist hier der…«
»Ich kenne sie schon länger. Da hat sie noch in dem alten Schacht gewohnt und auch einen bestimmten Namen gehabt, unter dem sie berühmt geworden ist.«
»Wie heißt er denn?«
»Die Blutfrau!«
Ich horchte auf und dachte automatisch an das Blut, das ich auf der Tischdecke und dem Balkon gesehen hatte. Flecken, verwaschen, dennoch als Blut zu identifizieren.
»Weshalb Blutfrau?«
»Weil sie sich von Blut ernährt hat.«
Ich hob die Hand. »Damit es klar ist, Juan, wir reden hiervon Lavinia di Luna.«
»Si.«
»Und sie hat sich von Blut ernährt?«
Juan beugte sich vor, damit er noch leiser sprechen konnte. »Auch wenn Sie es mir nicht glauben, Sehor, es ist so gewesen. Sie hat sich von Blut ernährt, und ich war derjenige, der es ihr gebracht hat, damit sie nicht starb.«
»Hast du ihr das Blut ins Haus gebracht?«
»Haus ist gut.« Er lachte leise auf. »Nein, sie hat in keinem Haus gewohnt. Sie lebte in einer Höhle, in einem Schacht tief unter der Erde. Und nicht nur ein Jahr oder zwei, sondern viele, viele Jahre. Jahrhunderte, sagt man.«
»Wie bekam sie das Blut?«
»Ich brachte ihr Tiere. Mäuse, Ratten, Spinnen, alles mögliche. Sie ernährte sich davon. Würmer und Insekten…«
Er sprach noch weiter, ich hörte kaum hin, weil ich plötzlich das Bild der Lavinia di Luna vor meinem geistigen Auge sah. Diese herrliche Frau, dieses faszinierende Wesen, Schönheit pur — sie sollte sich von Tieren ernährt haben?
Das wollte mir nicht in den Sinn. Aber ich erinnerte mich daran, als wir uns geküßt hatten und ich ihre kalte Zunge spürte. Plötzlich bekam ich eine Gänsehaut. Ekel durchflutete mich. Ich mußte mich fragen, ob es tatsächlich eine Zunge gewesen war, die ich berührt hatte. Juan sah mir an, daß etwas Fremdes in mir vorging. »Jetzt denken Sie schlimm von mir, nicht wahr?«
»Nicht von dir, Juan, bestimmt nicht. Ich ärgere mich über mich selbst, daß ich mich von der Blutfrau habe umgarnen lassen. An dich habe ich eine Frage. Warum nur? Weshalb hast du das getan? Kannst du mir darauf eine Antwort geben?«
»Ja und nein. Ich würde es nie wieder machen.« Er umklammerte sein Glas mit beiden Händen. »Nie wieder, aber ich hatte nun einmal den Kontakt mit ihr aufgenommen. Ich habe sie gefunden, und ich fühlte mich sehr, sehr einsam. Ich habe sie nie gesehen, aber ich fand den Eingang zu ihrem Gefängnis. Sie hat es bemerkt, sie sprach mich an, und sie überredete mich, zu ihrem Helfer zu werden.«
»Was du wurdest?«
»Ja, sie benötigte Blut, um am Leben zu bleiben. Ich besorgte ihr die Tiere. In der Dunkelheit schlich ich zu ihr. Die Ratten und Mäuse befanden sich in einem Käfig.«
»Wie sah die Frau aus?«
»Ich weiß es doch nicht. Wenn ich den Schacht öffnete, kam mir ihre Hand entgegen. Eine Klaue mit dünner Haut und langen Nägeln. Nicht die Hand, wie Sie sie kennen, Senor. Die hier war anders, ganz anders. Wie eine Totenklaue.«
»Was passierte dann?«
»Sie
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