Mein Frankreich (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Nachahmung auf die Parodie hinausläuft und daß, wer seine Ideen ernster nimmt als ihren Erfolg, sie vor den Parodien schützt, in denen ihre Wirkung besteht.
Die Frage ist also, wie es gelingt, von der nachahmlichen Negativität, die als revolutionäres Engagement, als radikale Kritik, als ästhetischer Anarchismus oder als dekonstruktivistische Subversion Schule macht, zu einer unnachahmlichen, vollendet idiosynkratischen und doch ins Allgemeine leuchtenden Negativität überzugehen. Man könnte in diesem Zusammenhang an die im spätantiken ägyptischen und syrischen Mönchtum relevante Differenz zwischen den Klosterbrüdern und den Anachoreten erinnern, von denen die ersten, nach einer Bemerkung Hugo Balls, als Athleten der Trauer, die anderen als Athleten der Verzweiflung existierten. Es steht außer Zweifel, daß Ciorans Platz in dieser Alternative bei den Anachoreten, den Zurückgezogenen und vom Irdischen Abgeschnittenen, gesucht werden müßte. In dieser Stellung geht es nicht mehr darum, das Seiende nach kritischen Methoden zu bekämpfen und umzuarbeiten, sondern darum, Gott und der Welt den Prozeß zu machen, indem ihnen das eigene zerschmetterte Dasein als Beweis ihres Scheiterns und ihres Mißratenseins vorgehalten wird. Während die kritische oder subversive Negativität schulbildend wirkt in dem Maß, wie ihr Standpunkt im Seienden kartiert, fundiert, kopiert und simuliert werden kann, zieht sich die verzweifelte Negativität in ein unerlernbares, bodenloses und unnachahmliches Exil zurück. In der Ausarbeitung dieser Exilposition liegt Ciorans singuläre Stärke. Er ist nach Kierkegaard der einzige Denker von Rang, der die Einsicht unwiderruflich gemacht hat, daß keiner nach sicheren Methoden verzweifeln kann.
Wer seinen Doktor desp. zu erlangen vorhat, braucht bei Cioran erst gar nicht nachzufragen, ob er die Arbeit betreuen würde. Der Weltabstand des kritischen Theoretikers, des ästhetischen Anarchisten oder des Dekonstruktivisten beruht jedesmal in einer Reserve, von der die jeweiligen Schulen nicht zu Unrecht behaupten, daß sie in Grenzen methodisch erlernbar sei. Was Husserl die epoché , den Bruch mit der natürlichen Einstellung, genannt hat, meint nichts anderes als die vervollkommenbare Übung des Sichausklinkens aus dem Strom des gestikulierenden, meinenden, involvierten Lebens. Ihr kommt auch bei traurigen Mienen die methodische Heiterkeit der schauenden Theorieeinstellung zu. Cioran hingegen arbeitet mit einer pathologischen epoché , von der nicht erkennbar ist, wie sie zu kopieren oder zu übertragen wäre. Seine Entwurzelung gründet nicht in einer theoretischen Abstandnahme von einem normalen und naiven Leben; sie entspringt dem Fluch, sich selbst als real existierende Anomalie vorzufinden. Seine Reserve ist alles andere als methodisch, sie ist dämonisch. In seinem Fall ist eine Tortur der Kritik zuvorgekommen. Während die gewöhnliche kritische Theorie, um von der gewöhnlichen positiven zu schweigen, Abstand vom bloßen Dahinleben nimmt, um den Denkenden aus seinen Bedingungen zu emanzipieren und ihm die Mittel zur Gegenwehr und zur Umarbeitung des Wirklichen an die Hand zu geben, ist die desparate Theorie nur daran interessiert, das Mißlingen des Konstrukts Wirklichkeit als solches zu bezeugen. Ihr Abstand wird nicht willkürlich genommen, sondern ist als Effekt eines Leidens im Denkenden vor aller Theorie schon anzutreffen.
Ciorans archimedischer Punkt, von dem aus er die normale Weltansicht und ihre philosophische und ethische Überbauung aus den Angeln hebt, ist die Entdeckung des Schlafprivilegs, von dem alle übrigen Geister, nicht zuletzt solche, die sich für unerbittlich kritische halten, wie von einer Selbstverständlichkeit profitieren. Seine beispiellose Hellsichtigkeit bei der Entzauberung sämtlicher positiven und utopischen Konstrukte hat ihren Grund in dem durchdringenden Stigma seiner Existenz – in einer Schlaflosigkeit, die ohne Zweifel psychogenen Charakters war und die ihn in seiner formativen Phase über Jahre hin geprägt hat. Sie ist es, die dem Denker Cioran eine vergiftete epoché zuspielt. Der Schlaflose weiß, im Unterschied zum Kritischen, daß er nicht der Herr seiner Prämissen ist. Die Insomnie ist keine gemachte Annahme, kein Habitus des übenden Subjekts, kein provisorischer Urlaub vom eigenen Leben zugunsten einer reinen Aufmerksamkeit und erst recht keine theoretische Vorübung zur praktischen Revolution. Dem Schlaflosen drängt sich
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