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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
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starrten die Leute sie an. Saima nahm Maya bei der Hand und stellte sie den anderen Gästen vor. Die Dame im blauen Chiffon hieß Lovely. Ihr Mann Pintu war ein schwitzender Zwerg im weißen T-Shirt. »Das sind Khaled und Minny von gegenüber, und Khaleds Bruder Sobhan, das ist seine Frau, Dora. Dora backt göttliche Kuchen: Schokolade, Vanille, Zitrone – ihr Zitronenkuchen ist absolut köstlich.« Dora hakte sich bei ihrem Mann unter und bedachte Maya mit einem halbherzigen Lächeln. Maya fragte sich, was aus ihren Freundinnen von früher geworden sein mochte, den nicht ganz so schicken, mit denen sie zur Schule gegangen und sich im Widerstand organisiert hatten. Da schilt aber ein Esel den anderen, dachte sie: Du hast ja wohl auch keinen Kontakt zu ihnen gehalten. Saimas Hand war weich und schwitzig, als sie Maya von Gast zu Gast führte. Saima lächelte und lächelte, bis ein bißchen Lippenstift auf einem ihrer Schneidezähne klebte. »Ich will alles hören«,sagte sie, »und damit meine ich alles! Ich muß nur mal gerade nach dem Essen gucken, aber ich bin gleich wieder da. Wenn ich nicht aufpasse, machen die in der Küche bloß wieder alles falsch.«
    Maya setzte sich auf die Kante eines straff gepolsterten Stuhls. Saimas »Alhamdulillah« war ihr übel aufgestoßen – früher hatten sie über Leute gelacht, die sich mit jedem zweiten Satz auf Allah bezogen. Aber mittlerweile machte das jeder; sie war am Morgen beim Gemüsemann gewesen, und als sie bezahlt hatte, hatte er sich mit »Allah hafez« von ihr verabschiedet. »Was soll mit unserem alten Gruß nicht stimmen?« hatte sie aufgebracht erwidert. »Khodahafez ist wohl nicht fromm genug, oder wie?« Die freundliche Miene war aus dem Gesicht des Mannes verschwunden, und er hatte ihr das Geld zurückgegeben. »Bitte kaufen Sie Ihr Gemüse woanders«, hatte er leise gesagt.
    Der Gedanke daran trieb Maya immer noch die Röte ins Gesicht. Jetzt mußte sie sehr viel weiter gehen, wenn sie etwas brauchten, bis zur Mirpur Road. Sie sah sich in dem Zelt um. Lovely schaute in ihre Richtung und winkte ihr zu. Maya winkte zurück. Wo war Joy? Ihr Sari war mittlerweile mehr als nur ein bißchen zerknittert und stand an der Hüfte unansehnlich ab. Sie sollte das Bad suchen gehen und sich ein wenig hübsch machen. Sie ging zurück zum Haus und trat in einen breiten Flur mit Gemälden an den Wänden. Jedes Bild wurde einzeln von einem kleinen Deckenstrahler beleuchtet. Maya stand vor dem Ölgemälde einer ländlichen Szene: leuchtend gelbe Reispflanzen und Bauern, die bis zu den Knöcheln in der Erde versanken und mit prallen, runden Muskeln das Feld bearbeiteten. Das Gemälde hatte nichts mit dem Landleben gemeinsam, das sie die letzten Jahre über erlebt hatte. Da waren die Männer im Reisfeld eher mager als rund gewesen, ausgezehrt von Hunger und harter Arbeit.
    Sie sah eine Frau in Jeans und knallbunter Kurta vor einem anderen Gemälde von Chottu stehen. »Hallo«, sagte Maya und versuchte, freundlich zu klingen.
    Die Frau musterte sie von Kopf bis Fuß, Mayas schmucklosen Sari, ihre nervös gefalteten Hände. »Ich habe den Eindruck, das ausgelassene Fest sagt Ihnen nicht so recht zu.«
    »Ich bin nicht so ein ausgelassener Mensch, ehrlich gesagt.«
    »Ich auch nicht. Aber mein Mann wollte unbedingt, daß wir kommen.«
    »Ich bin eine alte Freundin von Saima. Maya Haque.«
    »Ich heiße Aditi. Richtig, ich habe schon von Ihnen gehört. Die sozial bewegte Ärztin.«
    Das gefiel Maya. Sie lächelte. »Und so läuft es immer, alle ausgelassen und heiter?«
    »Meistens schon. Waren Sie weg?«
    »Ja, so kann man es sagen.«
    »Man kann ja niemandem einen Vorwurf daraus machen. Warum soll man sich nicht amüsieren? Wer will schon ständig den Gedanken an die alten Zeiten nachhängen?«
    Sie bewegten sich gemeinsam zurück in Richtung Party.
    Mittlerweile lief Musik, und ein paar Leute hatten angefangen zu tanzen und wackelten mit den Hinterteilen, daß die Getränke in ihren Händen nur so schwappten. Sie berührten sich an den Fingerspitzen und ließen die Hüften aneinanderprallen. Maya fand Joy und Chottu in einer Gartenecke, wo sie über Geschäftliches redeten. »Und was meinst du, Bruder, willst du bei uns einsteigen?«
    »Ich habe mich noch nicht entschieden.«
    »Keine Bange.« Chottu beugte sich zu Joy vor und tippte ihn an die Brust. »Alle möglichen Leute in unserm Land verdienen mit dem letzten Quatsch Geld. Warum solltest du nicht auch den großen Reibach

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