Mein fremder Bruder
machen. Findest du nicht auch, Maya?«
»Ja, warum nicht.« Sie sah Joy, der den Kopf zu ihr umgedreht hatte, kurz in die Augen. Jetzt fiel ihr auch wieder ein, daß sein Vater Besitzer von Jutewebereien in Khulna gewesen war. »Du kannst soviel Geld verdienen, wie du willst. Bloß dem Land hilfst du damit nicht.«
»Das überlassen wir den Ärzten. Und den Politikern.«
»Ach, Maya.« Chottu schüttelte den Kopf. »Du nimmst immer alles zu ernst. Wir werden alle älter, also warum nicht ein bißchen Spaß haben, bevor wir ins Gras beißen? Das ist mein Motto.« Er hob das Glas, das bis auf ein paar Eiswürfel leer war. Maya warf Joy einen entsetzten Blick zu und erwartete, daß er ihr beipflichten und die Augen verdrehen würde, aber er blickte nur stur geradeaus. Eine von Saimas Freundinnen – Molly oder Dolly oder so ähnlich – tippte Maya auf den Arm. »Hallo!« sagte sie.
Die in eine hautenge ärmellose Bluse eingeschnürte Frau erinnerte Maya an einen Stapel aufgepumpter Fahrradschläuche. »Hallo«, sagte Maya und versuchte, nicht die Wülste an ihrem Hals anzustarren.
»Sie sind also eine Freundin von Saima?«
»Genau, aus der Schule.«
Die Frau starrte Maya forschend ins Gesicht. Maya starrte zurück.
»Sie sind nicht verheiratet?«
»Nein.«
»Und Sie wollen auch nicht heiraten?«
»Ich glaube nicht. Ich meine, ich weiß es nicht, ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht.«
Der Blick der Frau bohrte sich in Mayas Augen. »Kommen Sie doch mal mit«, sagte sie und nahm Maya am Arm. »Sie müssen meinen Bruder kennenlernen, Saadiq. Er ist Wirtschaftsprüfer.«
Maya wich zurück. »Oh, nein danke.«
Die Frau ließ nicht so schnell locker. »Er ist eine sehr, sehr gute Partie. Die Mädchen sind von ihm begeistert. Aber ich hätte gern jemand Einfachen, Bodenständigen – wissen Sie, was ich meine? Die Frauen von heute. Kommen Sie, kommen Sie, das kann doch nichts schaden.«
Saima trat zu ihnen und legte Maya den Arm um die Schultern. »Du hast also meine alte Freundin kennengelernt. Sie ist etwas ganz Besonders, weißt du. Sie ist nicht nur Ärztin, siekann auch noch singen – süßer als jede Nachtigall, ungelogen! Ach, Maya, magst du uns denn nicht etwas vorsingen, nur ein kleines Lied?«
Die pummelige Frau strahlte sie an. Maya schüttelte den Kopf. »Bitte nehmen Sie’s mir nicht übel.«
Saima bemerkte ihren Blick. »Es tut mir leid, aber ich muß Maya leider entführen.« Sie lachte und führte Maya zum Büffet. »Mach dir nichts draus, sie ist völlig harmlos.« Entlang der hinteren Gartenmauer war ein langer Tisch aufgebaut worden. Männer in weißen Jacketts servierten frisch gerollte Rotis und Kebabs. Am anderen Ende der Tafel vervollständigten Biryani, Hammelcurry, Fischbouletten und Salat das Festmahl.
Kurz nach dem Krieg hatte es einen Tag gegeben, an dem Maya mit einer Rikscha auf einer der vielen neuen Straßen durch Dhanmondi gefahren war. Der See lag still da, der Tag war wolkenlos, die Sonne brannte. 1972 war dieser Stadtteil noch spärlich besiedelt gewesen; die Häuser waren durch große Rasenflächen und unbebaute Grundstücke voneinander getrennt. Als die Rikscha in die Road 13 einbog, sah Maya eine Frau, die auf einem Stück Rasen kauerte. Die Frau riß ein Büschel Gras aus und stopfte es sich schnell in den Mund, während ihr Blick ängstlich herumhuschte. Maya hatte damals, während des Krieges und im Sommer danach, als der Reis auf den Feldern verkümmerte und eine Flut von Menschen mit salzverkrusteten Mündern in die Stadt geströmt war, zwar schon Elend aller Art erlebt, doch es war diese schutzlos der grellen Sommerhitze ausgelieferte Frau, deren Sari herunterhing wie die Flügel eines seit langem ausgestorbenen Wesens, die ihr nie aus dem Kopf gegangen war. Sie war das Gefühl nie losgeworden, daß sie alle nur um Haaresbreite davon entfernt waren, auf einem Rasen zu kauern und die nackte Erde zu essen.
»Du solltest mal kommen und dir Rajshahi angucken«, sagte Maya zu Saima, »ein bißchen was vom Land sehen.«
Saima seufzte. »Oh, wie gern würde ich das machen. Was mußt du da für ein Leben geführt haben. Mein Leben ist sohektisch, viel zu hektisch. Es gibt immer so schrecklich viel zu tun. Das Haus ist noch nicht fertig – oben muß noch gestrichen werden. Und die Toiletten sind die reinste Katastrophe. Ständig muß man die Handwerker beaufsichtigen.«
Maya nickte, abgelenkt davon, wie Saima das Essen auf ihrem Teller herumschob, aber
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