Mein fremder Bruder
nichts davon in den Mund zu stecken schien. »Man findet nicht mal mehr gute Hausangestellte, die Kinder können das Kindermädchen nicht leiden, aber wenigstens stiehlt sie nicht, wie die letzte. Aber genug von mir. Jetzt erzähl schon: Wie ist es, nach so langer Zeit wieder nach Hause zu kommen?«
»Die Zeit ist so schnell vergangen«, antwortete Maya. »Sohails Frau ist gestorben, weißt du.«
»Nein, das wußte ich nicht. Inna li-llahi. Wir haben ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Es war, als ob ihr beide gleichzeitig verschwunden wärt.«
Es behagte Maya nicht, mit ihrem Bruder über einen Kamm geschoren zu werden. »Er wohnt oben und hat einen Sohn.«
»Was ist aus ihm geworden?«
Maya suchte nach den richtigen Worten, konnte sie aber nicht finden. Sie wußte nie so recht, wie sie von Sohails Bekehrung erzählen sollte, wie er sich von einem normalen in einen heiligen Mann verwandelt hatte. Sie wünschte, sie könnte aufrichtiger gegenüber dieser Frau sein, die einmal ihre Freundin gewesen war. Früher hätte sie Saima anvertrauen können, wie sie das alles hier anwiderte – die Gemälde vom Landleben, der Tisch, der sich unter dem vielen Essen bog, die Art und Weise, wie Madame blauer Chiffon Chottu die Hand auf den Arm legte. Aber jetzt ging das nicht mehr.
Joy kam auf sie zu und wischte sich die Hände an einer Serviette ab. »Köstliches Essen, Saima. Du bist nicht nur hübsch, sondern auch eine tolle Köchin.«
»Flirtest du etwa mit meiner Frau?« dröhnte Chottu und schlug Joy wieder auf den Rücken. »Irgend jemand muß es ja machen, ich hab keine Zeit mehr, der Frau Honig um den Bartzu schmieren – ich muß ständig arbeiten, um sie mit Saris und Ohrringen auszustatten.«
Saima hatte das Gesicht zu einem angespannten Lächeln verzogen.
»Da sei mal besser vorsichtig«, entgegnete Joy. »Du hast eine schöne Frau, und du selbst wirst nur jeden Tag fetter.«
»Ich sage, was ich will, mein Freund. Meine Zunge ist keiner Frau untertan.«
Als der Nachtisch gereicht wurde – eine Götterspeise mit Ananas und Pfirsichen aus der Dose, Pudding und Sahne – kam die Frau, die sich als Aditi vorgestellt hatte, wieder auf Maya zu. »Satt?«
»Ja, es war köstlich.«
»Saima kocht immer genug, um eine ganze Armee zu verköstigen.« Aditi senkte die Stimme. »Wenn ich ganz ehrlich bin, dann esse ich viel lieber was Einfaches wie Reis mit Dal, lieber als das ganze Biryani-Zeug.«
»Ja, ich auch«, sagte Maya.
»Vielleicht hätten Sie ja Lust, ein paar andere Reis-mit-Dal-Leute kennenzulernen.«
»Andere Dinosaurier, die in der Vergangenheit leben wie ich?«
»Journalisten.«
Maya war skeptisch. »Sie meinen die Leute, die uns mitteilen, was für ein großartiger Staatsführer der Diktator ist?«
»Wir sind nicht alle gleich.« Sie schrieb eine Adresse auf ein Stück Papier. »Kommen Sie uns doch mal besuchen.«
Sie drückte Maya den zusammengefalteten Zettel in die Hand – ein kleiner Widerstand gegen Saimas Biryani, ihr Alhamdulillah.
»Ruf mich an«, sagte Saima und umarmte sie sehr herzlich. »Ach, was sag ich, du machst dich ja so rar. Ich rufe dich an. Ich ruf dich morgen an. Laß uns Mittagessen gehen. Und bitte vergiß nicht, deiner Mutter viele Grüße auszurichten. Morgen, ja? Nicht vergessen.«
Maya hoffte, daß Joy auf der Heimfahrt nicht reden würde. Ihr Sari war völlig zerknittert, und sie hatte es aufgegeben, sich noch weiter darüber aufzuregen, zog ein Bein an sich und ließ die Falten auf ihrem Schoß auseinanderfallen. Ihr war etwas übel von dem Abend. Sie dachte daran, wie begeistert Saima gewesen war, sie wiederzusehen – und wie begeistert die Dorfbewohner in Rajshahi gewesen waren, sie loszuwerden. Sie hing irgendwo dazwischen im Nichts. Sie fühlte sich zu alt und zu jung zugleich. Häßlich. Häßliche alte Jungfer in einem häßlichen Sari. Und trotzdem wäre es einfach, wieder hineinzukommen. Alle würden den peinlichen Abend einfach vergessen, und es würde Nachmittage mit Chottu und Saima geben, an denen sie die Beine über die Sessellehne baumeln ließ. Vielleicht würden sie ihr zuliebe von früher reden, aber wahrscheinlich würden sie hauptsächlich über sich selbst und ihre Bekannten sprechen, Klatsch und Tratsch austauschen und über die Hitze klagen. Ein Teil von ihr wollte das, aber sie wußte, daß sie es nicht tun würde. Dachte Joy dasselbe, als er sie schweigend heimfuhr? Es war ihr egal. Er hatte sich nicht gerade sehr ritterlich ihr
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