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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
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Premierminister zwar erlaubte, ihre Hände zwischen seinen zu halten, ihm aber trotzdem innerlich Widerstand leistete.
    Maya hatte keinerlei Vorbehalte gegen ihn. Bangabandhu war für sie eine Art Gott, und vor ihm zu knien, um den Staub von seinen Füßen zu wischen, während er ihren Kopf berührte, war überwältigend. Ihr wurde ganz übel, und sie leerte gierig die Flasche Fanta, die von einem Diener auf einem Servierwagen gebracht wurde.
    Mujib war von seiner Familie umgeben – Maya erkannte seine Tochter Hasina und Sheikh Moni, seinen Neffen. Auch Mrs. Mujib war anwesend; ansonsten war der Raum bei ihrem Eintreten leer gewesen, füllte sich jetzt aber schnell mit immer mehr Leuten, die Bangabandhus Füße berührten und vor Freude weinten.
    Der Premierminister zündete die Pfeife an und paffte ein paarmal.
    Sohail saß sehr aufrecht und völlig bewegungslos da und starrte ihn genauso fasziniert an wie sie selbst.
    »Sie sind also verantwortlich für den Bombenanschlag auf das Kraftwerk?«
    »Ja, Sir«, antwortete Sohail nickend.
    »Da haben Sie eine Menge Mut bewiesen, mein Sohn.«
    »Das Risiko war groß, Sir, aber wir waren fest entschlossen.« Sohail hielt den Kopf gebeugt, aber seinen Mund sah Maya trotzdem. Er lächelte. Seit Monaten hatte sie ihn nicht mehr so lächeln sehen.
    »Bravo«, sagte Bangabandhu. »Kommen Sie, wir machen ein Photo. Kommen Sie, kommen Sie.«
    Sohail hatte seine Leica mitgebracht, aber ein offizieller Photograph hatte seine Kamera schon aufgebaut, und sie gruppierten sich um Bangabandhu. Maya setzte das Gesicht auf, das am besten zu diesem Bild passen würde: das einer ernsten, jungen Mitbürgerin, die dankbar war, die Gegenwart des großen Mannes genießen zu dürfen.
    Als sie sich für das Photo neben ihm aufstellten, wandte Bangabandhu sich Maya zu. »Und Sie, mein Kind, wie haben Sie die neun Monate verbracht?«
    Maya warf Ammu einen schnellen Blick zu, die nickte. »Ich habe gearbeitet. Ich war an der Theatre Road, Sir. Ich hatte die Ehre, der Exilregierung in Indien zu dienen.«
    »Theatre Road! Ihre Mutter hat Sie allein nach Kalkutta gehen lassen? Sie sind eine mutige junge Frau.«
    »Es war wunderbar, Sir, wie so viele von uns da zusammengearbeitet haben.«
    Er betrachtete sie schweigend und kaute auf dem Pfeifenstil. »Da wäre ich gern dabeigewesen. Wie gern hätte ich das gesehen!«
    Maya fragte sich, ob Bangabandhu den Krieg wohl genauso erlebt hatte wie sie: Als die Kämpfe ausbrachen und sie nicht teilnehmen durfte, fühlte sie sich zu Hause, wo nichts passierte, ausgeschlossen. Mujib hatte die ganze Zeit im Gefängnis gesessen. Er hatte keinen einzigen Kampf miterlebt, nicht eine Radiomeldung gehört. Sie hoffte, er wußte, daß er trotzdem bei ihnen gewesen war, daß sie jede Nacht mit seinem Namen auf den Lippen eingeschlafen und jeden Morgen unter seinem aus der Zeitung ausgeschnittenen Foto erwacht waren und seine Stimme im Radio gehört hatten. Es hatte für niemanden eine Rolle gespielt, daß er im Gefängnis und nicht an der Front dabeigewesen war. Aber vielleicht spielte es ja für ihn selbst eine Rolle.
    All das hätte sie ihm gerne noch gesagt, aber die nächste Besuchergruppe stand schon an der Tür, und die Aufmerksamkeit des Premierministers war abgelenkt. Maya mußte mittlerweile dringend auf die Toilette, sagte sich aber, daß sie keinen Augenblick verpassen wollte, daß sie diesen Moment nie vergessen würde, und sie versuchte, sich das Gesicht von Bangabandhu ganz genau einzuprägen und alles in Erinnerung zu behalten, was er anhatte und wie schwer sich seine Hand auf ihrem Kopf anfühlte.
    Bangabandhu sprach noch mit Ammu über die anderen Frauen, die wie sie Freiheitskämpfer in ihrem Haus versteckt hatten, und fragte, ob sie eine von ihnen kannte. Maya hörte, daß er sie nach ihrem Mann fragte, und als Ammu ihm antwortete, nahm Bangabandhu ihr Gesicht in beide Hände und sagte ihr, wie leid ihm der Tod ihres Mannes tue und was für eine große Leistung es sei, daß sie ihre Kinder ohne Vater aufgezogen habe.
    Schließlich hatten sich alle an der Tür versammelt.
    »Es gibt viel zu tun, meine Kinder«, sagte Bangabandhu. »Ich hoffe, ich kann auf Sie zählen.«
    »Ja, Sir.« Sohail verbeugte sich vor ihm und wollte wieder seine Füße berühren, aber Bangabandhu hielt ihn an den Schultern fest und richtete ihn wieder auf, bis sie Auge in Auge voreinander standen, dann umarmte er Sohail, dreimal, als ob sie Vater und Sohn wären. Er begleitete

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