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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
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sie nach draußen bis zum Tor, und sie konnten hinterher über nichts anderes reden als darüber, wie warmherzig, wie freundlich und völlig normal der Vater des Volkes gewesen war.
    Selbst Ammu konnte nicht anders als von ihm begeistert sein; sie sagte, er blicke einem so tief in die Augen, als verrate er ein großes Geheimnis, als ob man sich mit ihm zusammen zu etwas ganz Großem, Wichtigem verschworen hätte, auch wenn noch so viele Menschen um ihn herum waren.

1984
September
    Maya staunte über die vielen Leute, die Rehana besuchten. Mrs. Rahman traf als erste ein, klopfte Rehana das Kissen auf und stellte einen Hühnereintopf in den Kühlschrank. In ihrem Schlepptau kam ein ganzes Grüppchen von Damen aus dem Ladies Club, die versprachen, ihr alljährliches Rummy-Turnier bis zu Rehanas Genesung aufzuschieben. Der Fischhändler kam und der Schlachter, bei dem sie seit über zwanzig Jahren einkaufte; er brachte ihr einen riesigen Hammelknochen mit, von dem sie eine Suppe kochen könne, die das, was sie krank gemacht hatte, heilen würde, wie er versprach. Die Direktorin von Mayas alter Schule und die Dhanmondi Society schickten Blumen. Sufias Schwester kam mit ihrem Mann, beide sehr förmlich gekleidet, in der Hand ein Gebet, das ihnen ihr Sufimeister auf ein winziges Zettelchen geschrieben hatte. Sogar Rehanas deutscher Mieter erschien mit einem Strauß Rosen. Er blieb nur eine Minute, gerade lang genug, daß Maya ihn begutachten und schrecklich enttäuschend finden konnte. Er war kahlköpfig und so groß, daß er sich bücken mußte, um durch die Tür zu kommen, und mit einem feinen Pelz blonder Härchen bedeckt. Er lächelte tapfer und überreichte Rehana dann einen Umschlag, auf dem MIETE SEPTEMBER 1984 stand.
    Nach einem weiteren Morgen bei Khadija und den Frauen oben saß bei Mayas Rückkehr Joy neben Ammus Bett, der ihr eine Anekdote von seinem neuen geschäftlichen Unternehmen mit Chottu erzählte. Sie lachte so sehr, daß sie sich mit beiden Händen den Bauch hielt.
    »Nicht so heftig, Ma, deine Stiche sind doch noch gar nicht richtig verheilt!« Sie warf Joy einen verärgerten Blick zu.
    Joy unterhielt sich weiter mit Rehana. Er wirkte frisch, als käme er gerade aus der Badewanne, mit sauberen Füßen in schicken Sandalen und kurzgeschnittenen Haaren. Dicht zu Ammus Ohr vorgebeugt erzählte er seine Geschichte gemächlich zu Ende. Dann verabschiedete er sich, nicht ohne ihr zu versichern, daß sie bestimmt in Windeseile wieder gesund und zurück am Herd beim Braten ihrer berühmten Parathas sein würde.
    »Danke, daß du gekommen bist«, sagte Maya höflich und führte ihn ins Wohnzimmer. Sie wollte etwas zu ihrem letzten Zusammentreffen und dem peinlichen Abschied sagen.
    »Deine Mutter hat erzählt, du wärst jetzt öfter oben zu Gast.«
    »Sohail ist ins Krankenhaus gekommen und hat bei ihr am Bett gesessen. Ich glaube, das hat sie sehr genossen. Da wollte ich mich erkenntlich zeigen.«
    »Und wie findest du es da?«
    »Eine andere Welt.«
    »Das hört sich ja gar nicht so schlecht an.«
    »Anders. Es ist anders als alles, was ich kenne.« Sie versuchte, das Gefühl, mit diesen Frauen zusammenzusein, in Worte zu fassen. Joy war mit dem Fuß gegen etwas unter dem Sofa gestoßen, und jetzt faßte er in den Staub.
    »Ich glaube, ich weiß, was da liegt«, sagte er.
    Maya wußte es auch. Er zog es hervor, ein Stück Strandgut. Ein letztes Überbleibsel.
    »Die Saiten sind noch alle da«, sagte er. Maya holte einen Lappen aus der Küche, und als sie das Instrument abwischten, kam das honigbraune Holz zum Vorschein.
    »Kann man noch drauf spielen?« fragte Maya.
    »Muß wahrscheinlich gestimmt werden. Ich kann’s ja mal probieren, aber ich bin nicht sehr gut. Mein Bruder hat viel besser gespielt.«
    »Meiner auch«, entgegnete sie.
    Sie wußte genau, was er dachte: Es ist so ungerecht, daß sie ihren Bruder noch hat und ich nicht. Was würde er darum geben, seinen Bruder wiederzubekommen. Wahrscheinlich würdeer seinen Bruder unter allen Umständen wiederhaben wollen, selbst wenn der sein altes Leben aufgeben und sich wie ein anderer Mensch aufführen würde. Joy dachte sicherlich, daß lebendig oder tot nicht miteinander zu vergleichen waren. So schrecklich verschieden war es nicht, gab sie innerlich zurück. Es gibt einen Grund für solche Ausdrücke wie ›für mich bist du gestorben‹, die sie Sohail mehr als einmal an den Kopf geworfen hatte.
    Joy zupfte auf den Gitarrensaiten herum und drehte an

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