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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
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Bluse zu finden.
    Die Verkäufer, junge Männer mit dünnen Bärtchen, eilten zwischen dem Verkaufstisch und den Regalen hinter ihnen hin und her. Die Stoffballen in jeder nur erdenklichen Farbe waren wie Bücher in einem Regal an der Wand aufgereiht. Es begann der langwierige Prozeß, einen perfekt zum Sari passenden Stoff für die Bluse zu finden. Die jungen Männer hielten den bereits von Maya gekauften Sari neben Stoffe mit ähnlichen Farbtönen. Dann bewegten sie sich an der Palette von hell bis dunkel vorbei, bis Maya nickte: Marineblau für Sufia.
    Jetzt mußten sie hinüber zum anderen Teil des Markts gehen, in dem die Schneider saßen. Zaid zog sie am Handgelenk hinter sich her und hüpfte über die vielen Sprünge im Beton.
    »Weißt du noch, was wir gestern gelernt haben?« fragte sie ihn. »Die Zahlen? Versuch doch mal, die Schritte von hier bis zum Schneider zu zählen.«
    Zaid war abgelenkt, von den grellbunt gemalten Werbeschildern, den Frauen beim Einkaufen, den Hunden, die nach ihren Flöhen bissen, den Kinoplakaten, dem durchdringenden Geruch nach Tamarindenpickles. Es war ein schöner Tag, ein kleiner Vorgeschmack auf den bevorstehenden Winter; eine frische Brise kitzelte sie an den Ohren und Fingerspitzen. Maya mußte an die vielen Opferfeste zurückdenken, die sie zusammen im Bungalow gefeiert hatten. Das Knistern der neuen Kleider, die von Ammu so stark gebügelt und gestärkt worden waren, bis sie nach nassem Reis rochen. Warten, daß Sohail aus der Moschee zurückkam, dann Frühstück, dann in die Rikscha, um allenLeuten, die sie kannten, einen Besuch abzustatten. Zum Id war ihr Leben auf einmal voll, und den Höhepunkt des Nachmittags bildete der Halt am Friedhof, wo sie an Abbus Grab beteten: Wieder ein Jahr zu dritt vergangen, wieder sagten sie ihm, wie sehr sie ihn vermißten.
    »Ek«, fing Zaid zögernd an, »Dui.« Das Käppchen auf seinem Hinterkopf hüpfte auf und ab. »Tin.« Eins. Zwei. Drei.
    Maya wurde plötzlich von Zärtlichkeit für den Jungen überwältigt. »Halt das mal fest.« Sie drückte ihm die Einkaufstaschen in die Hand und hob ihn hoch. Das Kind war leicht wie eine Feder.
    »Was hättest du gern?« sagte sie. »Such dir etwas aus.«
    »Für mich?«
    »Ja, irgendwas, egal, was du willst. Alles, was es auf dem Neuen Markt gibt.«
    Er lächelte sie mit seinen schiefen, strahlend weißen Zähnen an, die er, wie sie wußte, mit Kohle und einem Zypressenzweiglein putzte, da Zahnbürsten oben verboten waren. Er versuchte sich zu entscheiden, was er sich wünschen sollte, blickte an sich und an seiner schmutzigen Kurta herunter, betrachtete die schwarzen Halbmonde unter seinen Fingernägeln. Sie erwartete, daß er um das Fahrrad bitten würde, von dem er auf dem Friedhof gesprochen hatte, aber er überraschte sie, als er ihr ins Ohr flüsterte: »Sandalen.«
    »Was, du willst wirklich nur Sandalen? Du darfst dir alles wünschen, was es auf dem ganzen Neuen Markt gibt, und du willst nur ein Paar Sandalen haben?«
    Er nickte feierlich.
    »Na schön, dann müssen wir noch mal kehrtmachen.« Sie setzte ihn ab, und sie durchquerten das große Marktgelände noch einmal, bis sie vor dem Bata-Laden standen. Ein magerer Verkäufer im blauen Oberhemd fing schon an, Maya zu bestürmen, bevor sie auch nur den Laden betreten hatten.
    »Darf es etwas mit Absatz für Sie sein, meine Dame? Ein geschlossener Schuh vielleicht?«
    »Wir suchen etwas für den Jungen«, sagte Maya und führte Zaid hinein. Sie flüsterte ihm ins Ohr: »Welche Farbe willst du?«
    »Blau«, flüsterte er zurück.
    Der Verkäufer kam mit einem Paar blauen Chappals an, die denen, die Zaid anhatte, sehr ähnlich sahen, nur daß diese völlig durchgelaufen und schon ein wenig zu klein waren.
    Maya zog ihm die neuen Sandalen an. »So, jetzt lauf ein Stück«, sagte sie, »mal sehen, ob sie passen.«
    Zaid machte ein paar vorsichtige Schrittchen, setzte einen Fuß zögerlich vor den anderen. Dann kam er schon zu ihr zurückgelaufen. Seine Lippen waren rot und seine Augen voller Tränen. Sie legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ist ja in Ordnung. Lauf nur darin herum, ob sie passen.« Dann drehte sie ihn um und schob ihn sanft von sich weg.
    »Haben Sie nicht was Besseres für ihn, vielleicht eine geschlossene Sandale?«
    Zaid raste einmal durch den Laden und kam dann zu ihr zurückgesprungen.
    »Hier wird nicht gerannt«, sagte der Verkäufer und hielt ihm den Finger mahnend vors Gesicht. An Maya gewandt

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