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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
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durch den Hintereingang in den Garten kommen. Dort blieb er einen Augenblick stehen, bis ihn jemand bemerkte, und er winkte. Er trug eine weiße Kurta und Kappe; sie hatte recht gehabt, er war in der Moschee gewesen. Verärgert rührte sie das Eier-Curry noch einmal um, dann schleppte sie den großen Kochtopf ins Wohnzimmer. Die flotten Bienen umschwirrten Sohail. Eine, die größte, berührte ihn ganz leicht am Arm, wozu sie kicherte, was wie hohes Löffelklingeln an einem Glas klang.
    Maya machte die Runde durch den Garten und rief alle zu Tisch. In Ammus Zimmer fand sie Saima, die bei geschlossenen Läden auf dem Bett lag und dem Säugling die Brust gab. Sie bot Saima an, das Baby kurz zu übernehmen, damit sie essen konnte.
    »Du bist wirklich ein Schatz«, seufzte Saima, »ich bin am Verhungern! Und der werte Herr Vater ist verschwunden, um sein Glas nachzufüllen. Warte, ich wechsle ihr noch schnell die Windeln.«
    »Glas nachfüllen? Wo denn?« In der Küche hatte sie Chottu nämlich nicht gesehen.
    »Bei Murad am Auto.« Saima kicherte. »Er hat eine Flasche Whisky dabei.«
    »Oh.« Maya stellte sich Ammus eisigen Zorn vor, sollte sie das herausfinden.
    »Du hast doch nichts dagegen, oder?« fragte Saima, wobei sie die Beine des Babys mit einer Hand hochhob, mit der anderen die Stoffwindel unter das kleine Hinterteil schob und gleichzeitig ihre Tochter beruhigte, als diese protestierte.
    Solange niemand etwas davon erfuhr … »Nein, warum nicht. Sie sollen nur bitte aufpassen. Ammu sieht so etwas nicht gern. Sohail erst recht nicht.«
    »Natürlich passen wir auf, daß Tante Rehana nichts mitbekommt. Aber Sohail habe ich schon etwas trinken sehen – wer weiß, vielleicht sitzt er ja auch bei Murad im Auto.« Sie faltete die Windel, zwischen den Zähnen eine riesige Sicherheitsnadel.
    Maya war verblüfft. »Ganz ehrlich, Saima, aber woher weißt du, was man mit einem Baby so macht? Du bist ja schon ein richtiger Profi.« Maya war froh, daß sie nicht in ihrer Situation war, verspürte aber auch einen Stich der Eifersucht, daß ihre Freundin schon so gut in etwas war, während sie immer noch herumruderte und nicht wußte, wie ihr Leben ohne Krieg genau aussehen sollte.
    »Ach, da ist doch nun wirklich nichts dran. So schwierig wie ein Medizinstudium ist es bestimmt nicht.«
    Sie wollte Saima gerade fragen, ob sie vielleicht auch bald zur Uni zurückkehren würde, bekam jetzt aber den in seine patriotische Decke gewickelten Säugling in die Hand gedrückt. »Sohail hat sich verändert, weißt du«, sagte Maya statt dessen mit der Hand unter dem warmen Babyköpfchen.
    »Alle haben sich verändert«, erwiderte Saima. »Es ist doch keiner von uns mehr so wie früher.«
    Maya versuchte, es besser zu erklären. »Er besucht jetzt die Moschee. Weil er da etwas gefunden hat.«
    »Keine Bange, das geht auch wieder vorbei.«
    »Das hat Ammu auch gesagt. Aber du kennst ihn, er macht immer alles so hundertfünfzigprozentig.«
    Saima machte eine Bewegung, als ob sie eine Fliege verscheuchen würde. »Ach, wir passen schon auf, daß er’s nicht übertreibt. Ich hol mir was zu essen – kommst du zurecht mit dem kleinen Quälgeist?«
    Das Baby war schon wieder eingeschlafen, die dicken runden Augen waren geschlossen, die Fäustchen machten Schattenboxen. Maya ging mit ihr auf dem Arm ins Wohnzimmer, wo Ammu die Teller verteilte. »Nicht so viel«, hörte sie, »wir müssen auf unsere Figur achten!«
    Sohail stand mit einem leeren Teller in der Hand neben Chottu. Er wirkte unnahbar in seinem langen weißen Gewand, groß und schlank und fleckenlos. Maya wurde bewußt, wie wütend er sein mußte. Sie umfaßte den Säugling fester und brachte so den Mut auf, sich ihrem Bruder zu nähern. Als Chottu Maya bemerkte, klopfte er Sohail kräftig auf die Schulter. »Der Mann ist voller Tugenden, ich sag’s dir. Unglaubliche Sachen hat er mir erzählt, wirklich ganz unglaublich.«
    »Komm«, sagte sie zu Sohail, »iß doch was.« Sohail hatte einen Gesichtsausdruck, den sie nicht enträtseln konnte, und fixierte sie mit dunklen Augen. »Bitte, Bhaiya.« Aber er schüttelte den Kopf, stellte den leeren Teller ab und ging zu einem Grüppchen Gäste hin, die schon in der Tür standen und winkten. »Tut uns leid, daß wir uns gleich nach dem Essen verdrücken«, hörte sie einen davon sagen. »Khodahafez«, hörte sie Sohail antworten. »Wenn ihr euch eingelebt habt, dann unterhalten wir uns weiter.« Sie hatte den Eindruck, daß er

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