Mein fremder Bruder
fragte er: »Wieviel wollen Sie ausgeben?«
»Spielt keine Rolle«, antwortete sie, »zeigen Sie mir einfach ein anderes Modell.«
»Das ist aber wirklich nett von Ihnen«, sagte er, während er die Schuhkartons durchguckte, »daß Sie mit Ihrem kleinen Dienstboten einkaufen gehen.«
»Er ist kein –«
Zaid hatte sich die Schuhe mittlerweile auf die Hände gezogen und ließ sie wie Seehundflossen aneinanderklatschen. Maya sah zwischen ihm und dem Verkäufer, der ein weiteres Paar billige Gummisandalen in der Hand hielt, hin und her.
»Gehen wir«, sagte Maya, nahm Zaid die Schuhe weg und drückte sie dem Verkäufer in die Hand. »Geben Sie uns die alten Sandalen wieder.«
»Die habe ich weggeworfen.«
»Ich will sie wiederhaben.«
Zaid fing an zu weinen. »Ach, hör doch auf«, sagte sie ungeduldig zu ihm und war auf einmal wütend auf ihn, weil er so schäbig gekleidet war. Sie sah selbst, wie er durch den Mund atmete, wieviel getrockneten Schleim er in den Augenwinkeln hatte. Mit seinem grauen Hemdkragen und den Schorfstellen auf den Armen sah er tatsächlich wie ein Dienstbote aus.
Der Verkäufer kam zurück und trug die alten Schuhe mit spitzen Fingern vor sich her. Maya ergriff sie und schob Zaid aus dem Laden. Das Kind war mittlerweile in ein tief beleidigtes Schweigen verfallen und wollte sie nicht an der Hand halten, sondern ging mehrere Schritte hinter ihr her. Sie versuchte, ihm zu erklären, daß der blöde Verkäufer geglaubt habe, Zaid sei ihr Dienstbote, aber er wollte nichts davon hören, drehte ihr den Rücken zu und schlug ihre Hand weg, wenn sie ihn zu berühren versuchte. Sie brachte die Besorgung beim Schneider hinter sich, mit dem sie unnötig hart über den Preis verhandelte und von dem sie verlangte, daß die Kleider in drei Tagen fertig sein müßten, obwohl es noch mehrere Wochen bis zum Id waren, dann machten sie sich auf den Heimweg und schwiegen einander in der Rikscha weiter an. Als sie zu Hause ankamen, versuchte Maya wieder, mit ihm zu reden, aber Zaid rannte die Treppe hoch, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm, und drehte sich nicht zu ihr um, als sie ihm zum Abschied hinterherrief.
»Hast du alles bekommen?« fragte Ammu. Sie flüsterte nur noch, mit einer fast tonlosen Stimme. »Ich muß mal. Ruf Sufia.«
»Die wäscht gerade ab. Ich geh mit dir.«
Ammu hatte nicht genug Kraft, um zu protestieren. Maya stützte sie mit einem Arm unter den Achseln und half Ammu, sich aufzusetzen. Sie ächzte leise und hielt die Hand hoch. »Warte.« Sie atmete tief ein, schwenkte die Beine aus dem Bett und sagte Maya, sie solle ihren Arm so ausstrecken, daß sie ihr aufhelfen konnte. Zusammen bewegten sie sich ganz langsam durch den Flur.
»Schließ nicht ab«, sagte Maya an der Badezimmertür. Sie hörte es drinnen rauschen, dann ein Klatschen an der Wand und Speigeräusche. »Ist alles in Ordnung, Ma? Bitte laß mich reinkommen.«
Sie hörte nichts. »Ma? Laß mich reinkommen, ja, bitte.« Immer noch nichts. Sie drückte die Tür auf und sah Ammu mit dem Arm vorm Gesicht neben der Toilette am Boden liegen. Maya versuchte, sie hochzuheben. An Wange und Kinn klebte Erbrochenes. Maya goß ihr einen Becher Wasser über und dann noch einen. Ammu lag ganz still, öffnete aber die Augen, als ihr das kalte Wasser ins Gesicht spritzte. Zu dem kleinen Badezimmerfenster kamen Gartengeräusche herein. Maya zog Ammu den Sari aus und steckte ihn in den Waschbottich. Ammu hob den Kopf. Zentimeterweise bewegten sie sich zurück zum Bett. Ammu sagte etwas, und Maya kam ganz nah mit ihrem Ohr und versuchte, sie zu verstehen.
»Alles«, sagte Rehana leise, »hast du alles bekommen?«
»Mach dir keine Sorgen, Ma«, antwortete Maya. »Das Id wird genauso wie jedes Jahr sein.«
Shafaat rief begeistert an. »Wir haben Leserbriefe zu Ihrer Kolumne bekommen«, sagte er. »Die Leute finden sie interessant.«
Es war ihr egal, ob die Leute ihre Beiträge interessant fanden. Verstanden sie, worum es ihr ging? »Ja«, antwortete er, »Ihre Aussage ist klar und deutlich angekommen. Wir haben einen Brief vom Khatib der Moschee in Rajshahi erhalten. Offensichtlich ein ganz aufrechter Bursche.«
»Ist es ein Drohbrief?« Um sich selbst hatte sie keine Angst, nur um die Leute aus dem Dorf, um Nazia.
Er versicherte ihr, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Rauschen im Hörer, als er Rauch aus dem Mundwinkel blies. Na schön. Dann würde sie weiter schreiben.
Als ich den unwegsamen Süden unseres
Weitere Kostenlose Bücher