Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
Vom Netzwerk:
schon mit jedem auf der Party gesprochen hatte und die Gäste mit kleinen Knospen von Ideen nach Hause gingen, die Sohail in ihnen gesät hatte. Den ganzen Abend lang würden sie diese Ideen hin und her wenden und daran kratzen, bis sie sich verändert hatten, und alles würde ein wenig anders sein als vorher. So ging es, wenn Sohail das Wort ergriff, so war es immer gewesen.
    »Da ist ja meine kleine Prinzessin«, sagte Chottu und steckte dem Baby seinen Finger in den Mund.
    »Hast du dir auch die Hände gewaschen?« fragte Maya, als sie den süßen Whiskygeruch in seinem Atem wahrnahm.
    »Gib sie mal her.« Er nahm ihr das Bündel aus den Armen. »Wie geht’s meiner kleinen Stinkbombe?« Maya sah sich nach Sohail um, aber er schien hinaus ans Tor gegangen zu sein, um die sich verabschiedenden Gäste hinauszulassen. Als die Leute ihre leer gegessenen Teller abstellten, fing es an zu regnen. Die flotten Bienen duckten sich unter die Gaze-Enden ihrer Saris und eilten davon. Die Medizinstudenten und Soldaten drängelten sich im Wohnzimmer, wo sie an der Wand lehnten oder sich aufs Sofa quetschten.
    »Laßt uns singen, ja?« sagte Kona. »Sohail, du auf der Gitarre.«
    Sohail schüttelte den Kopf. Er wirkte unruhig, nahm die Kappe vom Kopf und steckte sie zusammengefaltet in die Tasche.
    Kona fing an zu singen.

    Bangladesch, mein Anfang und mein Ende,
    Bangladesch, mein Leben und Tod,
    Bangladesch, Bangladesch, Bangladesch!

    Alle fielen ein, außer Sohail, dessen Blick von Konas Fuß, der den Takt klopfte, zu den Regenschleiern hinauswanderte, die gegen das Fenster geweht wurden. Maya hatte es nicht als einzige bemerkt; nach dem Lied herrschte ein langes Schweigen. Das Baby fing an zu weinen.
    »Sohail«, sagte Saima und legte sich das Baby an die Schulter, »wie man hört, willst du Mawlana werden.«
    »Saima.« Maya unterbrach sie. »Nicht jetzt.«
    »Na komm, wir sind ja nicht blind. Ist ja nichts Peinliches. Willst du uns etwas davon erzählen?«
    Maya wollte nicht, daß Sohail davon erzählte. Sie wollte nur, daß er damit aufhörte. Die Medizinstudenten erhoben sich, umzu gehen. »Lauft doch nicht weg, bitte«, rief sie ihnen schwach hinterher. Aber sie winkten ihr nur noch einmal zu und sagten, sie würden sich im Seziersaal wiedersehen. »Wir müssen doch noch Hitler die Niere rausnehmen«, sagten sie und meinten damit den Leichnam, den sie sezierten. Einer der Studenten, ein eher mangelernährt wirkender junger Bursche mit Haaren oben auf den Ohren, blickte Maya ein wenig zu lang in die Augen, wobei er auf der Unterlippe kaute. Sie schenkte ihm keine Beachtung, aber als das Tor hinter ihnen zugegangen war, hörte sie die Jungs auf der anderen Seite kichern und einander schubsen.
    Jetzt waren nur noch Chottu und Saima sowie Kona und die Jungs aus Sohails Regiment da. Saimas Frage hing immer noch im Raum.
    Sohail stand unvermittelt auf, strich seine Kurta glatt und setzte sich die Gebetskappe wieder auf den Kopf. »Es ist wahr«, sagte er, wobei seine Stimme den perfekten Klang zwischen rauh und glatt hatte. »Ich gehe in die Moschee.«
    »Paß auf«, warf Chottu ein, »in der Moschee klauen sie einem die Schuhe.«
    »Und stell dich lieber hinten hin, Yaar, sonst glotzen dir die andern auf den Arsch. Bei dem vielen Hinknien und Vorbeugen weiß man ja nie.« Die Männer lachten. Chottu ging auf die Knie und demonstrierte die Gefahren, die sich auftaten, wenn man sich bei den Niederwerfungen zu weit vorbeugte. »So eine Hose kann immer mal rutschen!«
    Brüllendes Gelächter im Zimmer. Das war genau das, was Maya sich eigentlich gewünscht hatte, aber sie merkte zu spät, was geschah. Es war ausgeschlossen, daß Sohail mitmachen würde, ausgeschlossen, daß er über sich selbst lachen würde.
    Kona klimperte immer noch auf der Gitarre herum und summte leise vor sich hin. Er starrte ins Leere und sagte: »Aber das ist doch nichts Schlechtes, wenn man zu Gott findet.«
    »Alhamdulillah!« brüllte Chottu und reckte die Faust.
    Kona legte die Gitarre beiseite und sagte: »Weißt du noch, Sohail, wie du uns früher gesagt hast, daß Religion blind macht –bei der Ausbildung hast du immer allen gesagt, sie sollen vor einem Einsatz keine Kalma beten.«
    »Du hast recht«, antwortete Sohail, »das hast du richtig in Erinnerung. Und habt ihr auf mich gehört?«
    »Nein.«
    »Weil ihr wußtet, daß ich unrecht habe.«
    »Na ja«, sagte Kona lächelnd, »wir wollten einfach nicht, daß uns der Kopf weggeblasen wird, was,

Weitere Kostenlose Bücher